Dargestellt wird dreimal ein Isolierglas, welches mit unterschiedliche Durchbiegungen auf die Klimalast reagiert

Druckentspannung von Mehrscheiben-Isolierglas (DEMIG)

Forschungsergebnisse, praktische Umsetzung, Ausblick

Lesezeit: 29 Minuten

Dieser Fachbeitrag beruht zu einem großen Teil auf Erkenntnissen aus dem Forschungsvorhaben „Untersuchungen zur Umsetzbarkeit von druckentspanntem Mehrscheiben-Isolierglas“.

In dem zugehörigen Forschungsbericht [1] werden zwei Arten der Druckentspannung von Mehrscheiben-Isolierglas unterschieden:

  1. Die einmalige Druckanpassung auf die Ortshöhe des Einbauortes bei einem erheblichen Ortshöhenunterschied zwischen Herstell- und Einbauort: Dieses Thema wird hier nicht weiter behandelt. Details finden sich in dem Forschungsbericht [1].
  2. Die dauerhafte Druckentspannung von Mehrscheiben-Isoliergläsern: Diese Art der Druckentspannung ist das Thema dieses Artikels.

Warum kann eine dauerhafte Druckentspannung sinnvoll oder sogar notwendig sein?

Die Anforderungen an Fenster und Fassaden z.B. hinsichtlich Wärmeschutz, Sonnenschutz und Schallschutz steigen. Damit werden Mehrscheiben-Isoliergläser (MIG) mit größeren Scheibenzwischenräumen (SZR) notwendig.

Konventionelles Mehrscheiben-Isolierglas besteht aus mehreren planparallelen Glasscheiben, die über ein Randverbundsystem miteinander verbunden sind. Die entstehenden Scheibenzwischenräume sind hermetisch abgeschlossen. Dies ist notwendig, um die Luftfeuchtigkeit in den SZR so gering wie möglich halten zu können und somit die Entstehung von Tauwasser sowie die Korrosion der aufgedampften metallischen low-e-Beschichtungen zu verhindern. Außerdem soll ein Entweichen des Füllgases vermieden werden.

Der Nachteil der hermetischen Versiegelung ist, dass ein Druckausgleich zwischen dem SZR und der umgebenden Atmosphäre verhindert wird. Ändern sich der Luftdruck oder die Temperatur im SZR, so entsteht ein Druckunterschied zwischen dem SZR und der Atmosphäre. Die Glasscheiben bauchen sich ein oder aus und werden dabei Biegezugspannungen ausgesetzt. Der Randverbund wird auf Druck oder Zug belastet. Je größer der Scheibenzwischenraum, desto größer wird die Belastung auf Glas und Randverbund, wenn sich der Luftdruck oder die Temperatur im SZR ändern (Bild 1).

Dargestellt wird dreimal ein Isolierglas, welches mit unterschiedliche Durchbiegungen auf die Klimalast reagiert
Bild 1: Verhalten von Isolierglas bei Klimalast: ein größerer effektiver SZR führt zu größeren Durchbiegungen und höheren Spannungen

Mögliche Folgen der hohen Klimabelastungen sind das Auftreten von optischen Verzerrungen in Reflektion (Pillowing), ein Einklemmen von in den SZR integrierten Bauteilen wie z.B. Sonnenschutzsystemen, eine reduzierte Dauerhaftigkeit des Randverbundes (Tauwasserbildung im SZR) und – im Extremfall – Glasbruch.

Ein Druckausgleich zwischen SZR und Atmosphäre würde hohe Klimabelastungen von Scheiben und Randverbund vermeiden und somit größere SZR ermöglichen, durch die wiederum die gestiegenen Anforderungen an Fenster und Fassaden erfüllt werden könnten.

Wie kann eine Druckentspannung im Prinzip funktionieren?

Eine Öffnung im Randverbund würde einen Druckausgleich zwischen Scheibenzwischenraum und Atmosphäre ermöglichen und somit Scheiben und Randverbund entlasten. Statt der Entwicklung von Druckunterschieden zwischen SZR und Atmosphäre würden Volumenströme durch die Öffnung im Randverbund von innen nach außen bzw. umgekehrt auftreten. Allerdings würde bei vollständiger Druckentspannung (durch eine große Öffnung im Randverbund) über den Volumenstrom auch sehr viel Feuchtigkeit in den SZR eingetragen und die Dauerhaftigkeit des Isolierglases auf wenige Jahre reduziert werden.

Statt einer vollständigen Druckentspannung ist es notwendig, eine Balance zwischen Druckausgleich und Feuchteaufnahme zu finden. Die Druckentspannung kann also nur partiell sein. Die Feuchteaufnahme wird größer sein als beim hermetisch dichten MIG. Aber die Feuchteaufnahme muss so gering bleiben, dass die in den Abstandhalter einfüllbare Trockenmittelmenge für die übliche Nutzungsdauer eines MIG ausreicht, also etwa 25 Jahre.

Eine Balance zwischen Druckausgleich und Feuchteaufnahme kann durch eine Begrenzung des Luftaustausches zwischen SZR und Atmosphäre, z.B. über Kapillare oder Ventile, erzielt werden.

Das Schaubild zeigt das Prinzip der Druckentspannung über Kapillare. Nähere Informationen zur Darstellung erhalten Sie auf Anfrage unter +49 8031 261-2150.
Bild 2: Prinzip der Druckentspannung über Kapillare

Bild 2 zeigt das Prinzip der Druckentspannung über eine Kapillare. Diese wirkt als Strömungswiderstand und verzögert den Austausch der Luft. Der Volumenstrom durch die Kapillare ist proportional der Druckdifferenz zwischen dem SZR und der Atmosphäre und damit einer Berechnung zugänglich.

Kapillare sind in vielen Varianten (Innendurchmesser, Länge, Metall, Kunststoff) im Laborhandel verfügbar. Sie sind meist leicht formbar, und ihr Strömungswiderstand lässt sich auch durch Ablängen einstellen. Eine Feuchtediffusion durch die Kapillare ist im Gegensatz zur Feuchtediffusion durch ein einfaches Loch im Randverbund vernachlässigbar, da das Konzentrationsgefälle in der Kapillare zwischen Atmosphäre und SZR, bedingt durch die Länge der Kapillare, gering ist.

Bild 3 zeigt das Prinzip der Druckentspannung über Ventile. Im neutralen Zustand mit planparallelen Scheiben sind die Ventile geschlossen. Steigt die Temperatur im SZR, so wird auch der Druck im SZR ansteigen, bis sich das Auslassventil öffnet und Luft ausgeblasen wird. Bei Abkühlung schließt sich das Auslassventil, die Luft im SZR zieht sich zusammen; es entsteht ein Unterdruck, schließlich öffnet sich das Einlassventil und Luft wird eingesogen. Der SZR ist verschlossen, solange der Druck im SZR zwischen dem Einlassdruck und dem Auslassdruck des Ventils liegt. Änderungen des äußeren Luftdrucks haben im Prinzip die gleiche Wirkung wie Temperaturänderungen im SZR. Allerdings fallen Luftdruckänderungen im Tagesverlauf normalerweise wesentlich geringer aus als die Temperaturänderungen.

Das Schaubild zeigt das Prinzip der Druckentspannung über Ventile. Nähere Informationen zur Darstellung erhalten Sie auf Anfrage unter +49 8031 261-2150.
Bild 3: Prinzip der Druckentspannung über Ventile

Was ist bei der technischen Umsetzung der dauerhaften Druckentspannung zu beachten?

Für die technische Umsetzung einer dauerhaften Druckentspannung von MIG müssen u.a. die beiden folgenden Fragen beantwortet werden:

  1. Wie kann die Dauerhaftigkeit eines druckentspannten MIG geprüft oder geschätzt werden?
  2. Was für Kapillar- bzw. Ventilparameter sind erforderlich, um eine angemessene Balance zwischen Druckentspannung und Dauerhaftigkeit zu erzielen?

Ist eine Dauerhaftigkeitsprüfung gemäß EN 1279 sinnvoll?

Eine Gasfüllung ist bei dauerhaft druckentspannten MIG nicht möglich, da das Gas innerhalb weniger Wochen durch Volumenströme und Diffusion entweichen würde. Die Gasverlustratenprüfung gemäß EN 1279-3 [2] ist also nicht anwendbar.

In konventionellen (hermetisch verschlossenen) MIG erfolgt die Feuchteaufnahme über Diffusionsprozesse durch den Randverbund. In dauerhaft druckentspannten MIG dagegen ist der Mechanismus der Feuchteaufnahme in erster Linie der Volumenstrom durch die Kapillare bzw. die Ventile, erst in zweiter Linie die Diffusion durch den Randverbund. Der genaue Anteil der Diffusion an der Gesamtfeuchteaufnahme ist nicht bekannt. Er hängt sehr stark von der Fertigungsqualität des MIG ab. Bedingt durch die – im Vergleich zum dichten MIG – geringere Randlast sollte die Diffusion von Feuchte beim druckentspannten MIG jedoch langsamer erfolgen als beim dichten MIG.

Die Prüfung der Feuchtigkeitsaufnahme gemäß EN 1279-2 [2] ist auf die Erfassung von Diffusionsvorgängen angelegt. Ein kleines Probekörperformat (und damit hohe Randlasten unter klimatischer Belastung), hohe Temperaturen sowie ein hohes Konzentrationsgefälle (niedrige Feuchte im SZR, hohe Feuchte außen) begünstigen Diffusionsprozesse, insbesondere während der Hochtemperatur-/Hochfeuchtelagerung der EN 1279-2 Prüfung. Volumenströme zwischen Atmosphäre und SZR sind in der Prüfung gemäß EN 1279-2 nicht berücksichtigt und sollten bei einem hermetisch dichten MIG auch gar nicht auftreten.

Wäre druckentspanntes MIG der Hochtemperatur-/Hochfeuchtelagerung gemäß EN 1279-2 ausgesetzt, so würde der wesentliche Mechanismus zur Feuchteaufnahme während der normalen Nutzung eines druckentspannten MIG, nämlich der Volumenstrom durch die Kapillare bzw. Ventile, praktisch nicht auftreten, da es keine Temperaturänderungen im SZR gibt. Luftdruckänderungen während der Hochtemperatur-/Hochfeuchtelagerung würden nur zu geringen Volumenströmen führen. Die Hochtemperatur-/Hochfeuchtelagerung der EN 1279-2 ist also grundsätzlich physikalisch nicht geeignet eine Alterung drucktentspannter MIGs zu simulieren.

Aus vielen Jahren Erfahrung weiß man, dass ein konventionelles (hermetisch dichtes) System, das die Anforderungen der EN 1279-2 erfüllt, höchstwahrscheinlich auch den Anforderungen der normalen Nutzung über einen Zeitraum von etwa 25 Jahren gewachsen ist. Für dauerhaft druckentspannte Systeme liegen keine Erfahrungen dieser Art vor. Aus dem Erfüllen der EN 1279-2-Anforderungen könnte man also nicht auf eine ausreichende Dauerhaftigkeit schließen. Eine Prüfung auf Dauerhaftigkeit von dauerhaft druckentspanntem MIG nach den Vorgaben der Produktnorm EN 1279-2 ist dementsprechend physikalisch nicht sinnvoll und nicht zielführend.

Rechenmodell zur Abschätzung von Druckentspannung und Feuchteaufnahme

Da (wie in 4.1 erläutert) eine Prüfung der Dauerhaftigkeit nach EN 1279-2 nicht möglich ist, wurde ein numerisches Rechenmodell entwickelt, mit dem sowohl die Feuchteaufnahme als auch der Grad der Druckentspannung abgeschätzt werden können.

Stündliche Wetterdaten (Temperatur, solare Einstrahlung, Luftdruck, Luftfeuchte) und Parameter des MIG (Aufbau, Format, Absorptionseigenschaften) sowie Parameter der Kapillare bzw. der Ventile sind die Eingangsgrößen für die Berechnungen. Zunächst wird die Temperaturentwicklung im SZR ermittelt. Daraus und aus den Luftdruckänderungen ergeben sich dann die Volumenströme zwischen dem SZR und der Atmosphäre. Aus den in den SZR einströmenden Luftvolumina und der relativen Luftfeuchtigkeit der einströmenden Luft wird die in den SZR eingetragene Feuchtemenge errechnet. Es wird angenommen, dass die eingetragene Feuchte vollständig vom Trockenmittel absorbiert wird.

Außerdem wird der Grad der Druckentspannung, ausgedrückt als Biegezugspannung in den Scheiben und/oder Scheibendurchbiegung, ermittelt. In einem sich schrittweise wiederholenden Prozess ergeben sich geeignete Kapillarparameter (Innendurchmesser, Länge) bzw. Ventilparameter (Einlass-, Auslassdruck), um eine Balance zwischen Druckentspannung und Dauerhaftigkeit für das MIG zu erzielen.

Die Ergebnisse einiger Modellrechnungen

An Hand von Modellrechnungen sollen einige wichtige Zusammenhänge exemplarisch dargestellt werden, die für die technische Umsetzung einer dauerhaften Druckentspannung bedeutsam sind.

Die für eine dynamische Berechnung notwendigen stündlichen Wetterdaten wurden mit Hilfe der Software Meteonorm 7 [3] generiert.

Druckentspannung vs. Feuchteaufnahme

Die Abbildungen 4a und 4b illustrieren die druckentspannende Wirkung einer Kapillare bzw. eines Ventils. Auf der X-Achse von Bild 4a sind die Stunden eines Jahres aufgetragen, von 0:00 Uhr am 1. Januar bis 24:00 Uhr am 31. Dezember. Auf der Y-Achse ist die mittige Durchbiegung einer Scheibe des MIG aufgetragen. Ein positiver Wert bedeutet eine Ausbauchung der Scheibe, ein negativer Wert eine Einbauchung der Scheibe.

Die blaue Kurve für das dichte MIG (Bild 4a) formt ein Band, das im Prinzip dem jahreszeitlichen Verlauf der Außentemperatur am Standort Rosenheim folgt. Zu Beginn des Jahres herrscht ein Unterdruck in dem MIG, weil es kälter ist als bei der Herstellung des MIG, die üblicherweise bei Raumtemperatur erfolgt. Durch den Unterdruck sind die Scheiben nach innen gebaucht. Zum Sommer wird es wärmer, die mittlere Temperatur im SZR steigt, der Druck im SZR steigt und die Scheiben bauchen sich nach außen. Zum Winter sinkt die Temperatur im SZR wieder, die Scheiben bauchen sich wieder nach innen. Die Amplitude des Bandes spiegelt im Prinzip den täglichen Temperaturgang wieder.

Das Diagramm zeigt den zeitlichen Verlauf der Scheibendurchbiegung über ein Jahr. Nähere Informationen zur Darstellung erhalten Sie auf Anfrage unter +49 8031 261-2150.
Bild 4: Zeitlicher Verlauf der Scheibendurchbiegung zur Illustration der druckentspannenden Wirkung von Kapillaren bzw. Ventilen
Format 1 m x 2 m, Aufbau 6 - 80 - 6
Modellrechnung mit Klimadaten für den Standort Rosenheim
a.) Zeitlicher Verlauf der Scheibendurchbiegung über ein Jahr
(zu schwarzem Rahmen siehe b.))

Die rote Kurve für das über eine Kapillare druckentspannte MIG (Bild 4a) formt ein gerades Band (kein sommerlicher Bogen zu hohen Scheibendurchbiegungen). Das Band liegt fast symmetrisch zur Nulllinie und hat auch eine kleinere Amplitude als das blaue Band. Durch die Kapillare wird also eine deutliche Druckentspannung des MIG bewirkt.

Abbildung 4b zeigt einen Ausschnitt aus 4a, nämlich zwei Tage im Juli des Jahres. Neben den Kurven für das dichte MIG und das MIG mit Kapillare ist jetzt auch eine Kurve für ein MIG mit Ventilen dargestellt. Die Ventilparameter sind so gewählt, dass die Druckentspannung ungefähr derjenigen der Kapillare entspricht. Auffällig an der grünen Kurve für das Ventil sind die Plateaus knapp unter -2 mm Durchbiegung und knapp über +2 mm Durchbiegung. Dieses sind die Zeiträume, in denen das Einlass- bzw. das Auslassventil geöffnet sind, also ein Austausch von Luft zwischen SZR und Atmosphäre erfolgt.

Das Diagramm zeigt den zeitlichen Verlauf der Scheibendurchbiegung über zwei Tage im Juli. Nähere Informationen zur Darstellung erhalten Sie auf Anfrage unter +49 8031 261-2150.
Bild 4: Zeitlicher Verlauf der Scheibendurchbiegung zur Illustration der druckentspannenden Wirkung von Kapillaren bzw. Ventilen
Format 1 m x 2 m, Aufbau 6 - 80 - 6
Modellrechnung mit Klimadaten für den Standort Rosenheim
b.) Zeitlicher Verlauf der Scheibendurchbiegung über zwei Tage im Juli
(Ausschnitt aus a.), schwarzer Rahmen)

Ähnlich wie in Bild 4a sieht man deutlich den Effekt der Druckentspannung. Die Durchbiegungen der MIG mit Kapillare bzw. Ventil sind wesentlich geringer als die Durchbiegung des dichten MIG.

Neben dem Grad der Druckentspannung (in Bild 4 ausgedrückt durch die Scheibendurchbiegung) muss auch die Feuchteaufnahme betrachtet werden. Die errechneten Werte sind in Tabelle 1 wiedergegeben: etwa 18 g/Jahr für das MIG mit Kapillare und nur 6 g/Jahr für das MIG mit Ventil. Die Feuchteaufnahme über Ventile ist im Verhältnis 1:3 niedriger als die Feuchteaufnahme über eine Kapillare. Dieses Verhältnis 1:3 (manchmal sogar 1:4) wurde auch für andere Formate, Aufbauten und Klimazonen errechnet. Bei ähnlichem Grad der Druckentspannung wird über Ventile wesentlich weniger Feuchte in den SZR eingetragen als über Kapillare.

Die Tabelle gibt die Modellrechnungen der Feuchteaufnahmen und Trockenmittelmengen an. Beschriftet sind die Spalten mit "MIG mit", "Feuchteaufnahme pro Jahr", "Trockenmittelmenge für 25 Jahre" und "Abstandhalterhöhe". Nähere Informationen zur Darstellung erhalten Sie auf Anfrage unter +49 8031 261-2150.
Tabelle 1: Aus Modellrechnungen für den Standort Rosenheim,
Format 1 m x 2 m, Aufbau 6 - 80 - 6:
Feuchteaufnahmen pro Jahr sowie Schätzwerte für
die Trockenmittelmengen für 25 Jahre und die notwendigen Abstandhalterhöhen

Mit Hinblick auf die technische Umsetzung einer Druckentspannung von MIG stellt sich die Frage, wieviel Trockenmittel müsste in ein MIG eingefüllt werden bzw. welche Abstandhalterhöhe ist erforderlich, um diese Trockenmittelmenge aufzunehmen, damit eine Nutzungsdauer des MIG von etwa 25 Jahren möglich ist? (Bild 5)

Über einen Zeitraum von 25 Jahren treten viele Unwägbarkeiten auf. Es ist nur eine sehr grobe Schätzung möglich. Folgender Weg wurde beschritten:

  1. Multiplikation der Werte aus dem Rechenmodell für die Feuchteaufnahme pro Jahr (18 g/Jahr für Kapillare bzw. 6 g/Jahr für Ventile, Tabelle 1) mit 25.
  2. Verdoppelung der Ergebnisse aus Schritt 1, um klimatische Schwankungen und die Diffusion durch den Randverbund zu berücksichtigen.
  3. Berechnung der notwendigen Trockenmittelmenge, um die in Schritt 2 berechneten Feuchtemengen zu absorbieren, unter der Annahme einer Anfangsbeladung des Trockenmittels von 3 % beim Einfüllen in den Abstandhalter und einer Sättigungsbeladung von 20 %.
  4. Berechnung der notwendigen Abstandhaltervolumina bzw. der notwendigen Abstandhalterhöhen (s. Bild 5), um die in Schritt 3 berechneten Trockenmittelmengen aufzunehmen, unter der Annahme einer Schüttdichte von etwa 0,65 g/cm3. für das Trockenmittel

Die Ergebnisse der Schätzungen sind ebenfalls in Tabelle 1 aufgeführt. Wie bereits erwähnt, diese Werte können nur einer groben Orientierung dienen, noch nicht der Planung/Entwicklung konkreter druckentspannter Systeme.

Das Schaubild zeigt die notwendige Abstandhalterhöhe  um Trockenmittel ausreichend für 25 Jahre aufzunehmen
Bild 5: Abstandhalterhöhe notwendig um Trockenmittel ausreichend für 25 Jahre aufzunehmen
Format 1 m x 2 m, Aufbau 6 - 80 - 6
Modellrechnung mit Klimadaten für den Standort Rosenheim, s. Tabelle 1
Die Tabelle gibt die Modellrechnungen der Feuchteaufnahmen und Trockenmittelmengen an. Beschriftet sind die Spalten mit "MIG mit" und "Feuchteaufnahme pro Jahr". Nähere Informationen zur Darstellung erhalten Sie auf Anfrage unter +49 8031 261-2150.
Tabelle 2: Aus Modellrechnungen für Format 1 m x 2 m, Aufbau 6 - 80 - 6
ähnlicher Grad der Druckentspannung für alle drei Standorte.
Feuchteaufnahme pro Jahr in verschiedenen Klimazonen

Einfluss des Standorts

Um den Einfluss des Klimas auf die Feuchteaufnahme von druckentspannten MIG zu illustrieren, wurden die gleichen Berechnungen wie in 4.3.1 für den Standort Rosenheim auch noch für zwei weitere Standorte durchgeführt:

Kühle Region: Helsinki

Warme Region mit ständig hoher Luftfeuchtigkeit: Singapur

Die Ergebnisse sind in Tabelle 2 wiedergegeben.

Die Ventile weisen auch für Helsinki und Singapur eine wesentlich geringere Feuchteaufnahme auf als die Kapillare (Verhältnis 1:4 für Helsinki und 1:3 für Singapur).

Man erkennt deutlich den großen Einfluss der Klimazone auf die Feuchteaufnahme. So wird z.B. in Singapur dreimal so viel Feuchte aufgenommen wie in Rosenheim. Der Vorteil der Ventile über Kapillare hinsichtlich der Feuchteaufnahme würde sich in Singapur durch eine geringere Trockenmittelmenge besonders bemerkbar machen.

Experimentelle Untersuchungen zur Validierung des Rechenmodells

Im Rahmen des Forschungsprojektes [1] wurden auch experimentelle Untersuchungen in Freibewitterung und in einer Klimakammer durchgeführt. Da im Rahmen des Projektes keine geeigneten Ventile zur Verfügung standen, wurden nur Kapillare in den experimentellen Untersuchungen verwandt.

Die experimentellen Ergebnisse entsprachen weitgehend den Vorhersagen des Rechenmodells, insbesondere bei den Klimakammeruntersuchungen. Einige Abweichungen gab es bei den Probekörpern in der Freibewitterung. Hier muss berücksichtigt werden, dass es in der Freibewitterung wesentlich schwieriger ist die genauen Belastungsbedingungen zu erfassen, um sie dann in Modellrechnungen einfließen zu lassen.

Die beiden Fotos zeigen Probekörper in der Freibewitterung (links) und in der Klimakammer (rechts)
Bild 6: Probekörper in der Freibewitterung (links) und in der Klimakammer (rechts)

Fazit

Eine Druckentspannung von Mehrscheiben-Isolierglas bei gleichzeitig hoher Dauerhaftigkeit ist möglich.

Modellrechnungen und experimentelle Untersuchungen haben gezeigt, dass Kapillare geeignet sind eine Balance zwischen Druckausgleich und Feuchteaufnahme zu erzielen.

Ventile zeigten sich in Modellrechnungen sehr vielversprechend. Bei einem ähnlichen Grad der Druckentspannung wie Kapillare führen sie zu einer wesentlich geringeren Feuchteaufnahme.

Es gibt keine generelle Lösung. Aufbau, Format, Absorptionsverhalten, klimatische Bedingungen und Kapillar- bzw. Ventilparameter müssen berücksichtigt werden, um eine optimale Kombination aus Druckentspannung und Dauerhaftigkeit zu erzielen.

Das ift Rosenheim plant ein weiteres Forschungsvorhaben. Die Druckentspannung mit Ventilen soll eingehender untersucht werden. Geeignete Ventile müssen niedrige Arbeitsdrücke (wenige mbar)  mit hohen Volumenströmen, langer Lebensdauer und Wartungsfreiheit verbinden. Idealerweise wären die Ventile passive Elemente, die ohne Energieversorgung auskommen. Eventuell sind aber auch aktive, elektrisch betriebene, sensorgesteuerte Elemente notwendig. Die Ventile dürfen nicht durch Schmutzpartikel in ihrer Funktion behindert werden, und durch die Ventile dürfen keine Schmutzpartikel in den Scheibenzwischenraum gelangen. Das ift möchte das Forschungsprojekt zusammen mit Kooperationspartnern aus der einschlägigen Industrie planen und durchführen.

Danksagung

Der Inhalt dieses Artikels basiert zum großen Teil auf Erkenntnissen, die im Rahmen des Forschungsvorhabens „Untersuchungen zur Umsetzbarkeit von druckentspanntem Mehrscheiben-Isolierglas“ [1] gewonnen wurden. Das Vorhaben wurde finanziell und ideell gefördert durch:

 

Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumordnung (Aktenzeichen: SWD-10.08.18.7-12.12)

sowie die Industriepartner:

 

SANCO Isolierglasgruppe

vertreten durch:

Sanco Beratung Glas Trösch GmbH,  Nördlingen

Glas Müller Vetri, Bozen

 

Finstral AG, Unterinn

 

Die Verantwortung für den Inhalt des Artikels liegt beim Autor.

Literatur

  1. Rose, A., Sack N.
    Untersuchungen zur Umsetzbarkeit von druckentspanntem Mehrscheiben-Isolierglas
    Forschungsbericht
    ift Rosenheim 2015
  2. DIN EN 1279
    Glas im Bauwesen – Mehrscheiben-Isolierglas
    Beuth Verlag GmbH
    , Berlin
  3. Meteonorm 7
    Fa. Meteotest, Bern, Schweiz

Dr. Ansgar Rose

ift Rosenheim

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