Comic, der Veranschaulicht, dass körperlich eingeschränkte Probleme mit Fenster haben.

Mehr Barrierefreiheit mit „richtigen“ Fenstern und Türen

Hinweise zur besseren Planung und Ausschreibung auf Basis eines ift-Forschungsprojekts

Lesezeit: 5 Minuten

Barrierefreies Bauen betrifft in Deutschland über 7,8 Millionen schwerbehinderte Men-schen, eine Vielzahl von Senioren sowie Menschen mit temporären Einschränkungen, bei-spielsweise nach einem Unfall.

Aus diesem Grund muss im Neubau und bei genehmigungspflichtigen Sanierungen die baurechtlich eingeführte DIN 18040-2 eingehalten werden. Diese enthält für Türen einige konkrete Regelungen. Zu Fenstern gibt es hingegen nur rudimentäre Vorgaben und insgesamt zu wenig Hinweise zur praktischen Umsetzung. Planer und Fensterbauer müssen Kompromisse zwischen Anforderungen und Praxis entwickeln und dabei unterschiedliche, mitunter gegenläufige Faktoren berücksichtigen. Zielkonflikte ergeben sich beispielsweise zwischen den geforderten geringen Bedienkräften und Leistungseigenschaften wie Schallschutz, Schlagregendichtheit oder Einbruchhemmung. In ähnlicher Weise gilt dies für die Schwellenhöhe von Türen und Fenstertüren. Um dieses baupraktische Problem zu lösen, hat das ift Rosenheim 2018 ein Forschungsprojekt durchgeführt. Ziel war die Erarbeitung konstruktiver Lösungen, um die Anforderungen an die Funktion, Gebrauchstauglichkeit und die Schutzziele der DIN 18040 in Abhängigkeit von der Nutzergruppe gleichermaßen zu erfüllen. Denn es ist ein großer Unterschied, ob Türen und Fenster in einer Wohngemeinschaft junger Rollstuhlfahrer, für Blinde oder in einer Pflegestation für Demenzkranke eingesetzt werden. Hier ist eine situative Planung, Ausschreibung und Ausführung der Bauelemente sinnvoll, um das Optimum für die jeweilige Nutzergruppe zu erreichen. Auf Basis von Praxisuntersuchungen und Befragungen von Betroffenen wurden normative Kenngrößen für Fenster und Türen den Bedürfnissen der befragten Nutzer gegenübergestellt. Es wurde eine Methode entwickelt, mit der sich die Überrollbarkeit von Schwellen bewerten und klassifizieren lässt. Ein neu entwickelter Bedienkraftsimulator ermöglicht die Ermittlung realistischer Bedienkräfte.

Comic, der Veranschaulicht, dass Personen mit körperlichen Einschränkungen Probleme mit Fenster haben können.
Bild 1: Typische Problembereiche bei Fenstern und Türen betreffen nicht nur Senioren
Ein Türschwellen, der durch das Entwässerungsgitter weiter oben ist.
Eine Fußmatte, welche durch die leichte Erhebung eine Stolperfalle sein kann.
Bild 2: Typische Schwellen vor Fenstertüren

Überrollbarkeit

Ein Schwerpunkt ist die Passierbarkeit von Fenster- und Türschwellen. Denn schon geringe Schwellenhöhen können ein unüberwindbares Hindernis sein. Die Passierbarkeit von Türen ist deshalb ein wesentliches Schutzziel, dass die DIN 18040-1 und -2 wie folgt beschreibt „Untere Türanschläge und Schwellen sind nicht zulässig. Sind sie technisch unabdingbar, dürfen sie nicht höher als 2 cm sein.“ Bereits im Anwendungsbereich der Norm wird aber darauf hingewiesen, dass die Schutzziele auch von der Norm abweichend erfüllt werden können. Pflegeheimbewohner berichteten, dass schon Schwellen unter 2 cm das Passieren erschweren oder unmöglich machen. Dies sind nicht nur Türschwellen, sondern kann auch ein dicker Teppich, eine Steinplatte oder eine Fußmatte sein. Hier müssen Architekten genau planen und Gewerke übergreifend koordinieren. Außer der Schwellenhöhe hat auch die Schwellengeometrie Einfluss auf die Überrollbarkeit. Beides fließt in die Bewertung und Klassifizierung der Überrollbarkeit gemäß ift-Richtlinie BA-01/1 ein. 

Die Tabelle zeigt die gebrauchten Anforderungen für die Umsetzung aus Tabelle 1. Nähere Informationen zur Darstellung erhalten Sie auf Anfrage unter +49 8031 261-2150.
Anlage 1: Anforderungen an Fenster und Türen in Abhängigkeit von der Nutzergruppe
(Tabelle 1 aus ift Richtlinie BA-02/1)

Bei radgebundenen Hilfsmitteln (Rollstuhl, Rollator etc.) ist die Passierbarkeit einer Schwelle von deren leichten Überrollbarkeit abhängig und deshalb zur Bewertung der Barrierefreiheit gut geeignet. Die Höhe und Geometrie der Schwelle sind dabei maßgeblich. Beispielsweise braucht die Überwindung rechteckiger Schwellen 30 % mehr Kraft als bei stark abgerundeten Schwellen gleicher Schwellenhöhe. Eine gute Überrollbarkeit verbessert zudem den Komfort für Personen mit Kinderwägen oder Einkauftrolly. Die Ergebnisse des Forschungsprojekts sind Basis für die ift-Richtlinie BA-01/1 „Ermittlung und Klassifizierung der Überrollbarkeit von Schwellen“. Die BA-01/1 beschreibt ein Verfahren zur objektiven Beurteilung der Überrollbarkeit, um die Planung, Ausschreibung und den Vergleich unterschiedlicher Schwellensysteme zu erleichtern. Die Bedürfnisse verschiedener Nutzergruppen wird durch die Klassifizierung berücksichtigt.

Geeignete Fenster- und Türbeschläge

Die Erreichbarkeit und Bedienbarkeit von Griffen ist der zweite wichtige Aspekt für die einfache Nutzung von Fenster und Türen. Große und schwere Türen sowie ein hoher Anpressdruck der Dichtungen (Wind-/Schlagregendichtheit und Schallschutz) erhöhen die Bedienkraft deutlich. Auch die Beschläge und die Geometrie sind relevant. Beispielsweise steigt die Bedienkraft beim Kippen mit der Höhe des Elements deutlich an. Durch eine geeignete Fensteraufteilung kann die Erreichbarkeit verbessert und die Bedienkraft reduziert werden. Ebenfalls können Oberlichter mit Kippbeschlag oder spezielle Lüftungsflügel eingesetzt werden. Zur besseren Erreichbarkeit – vor allem auch für Rollstuhlnutzer – kann der Fenstergriff am unteren Flügelrahmen angeordnet werden. Durch den Einsatz elektromotorischer Beschläge kann die Bedienung und damit die Barrierefreiheit noch einmal deutlich verbessert werden. Entscheidend ist dabei die einfache, intuitive Bedienung durch Taster, App oder eine Fernbedienung.

Beschläge brauchen Wartung und Pflege

Um niedrige Bedienkräfte dauerhaft sicher zu stellen, müssen Fenster und Türen regelmäßig inspiziert, eingestellt und gewartet werden. Bereits durch leichte Klemmungen oder einen höheren Anpressdruck kann ein Fenster für manche Menschen nicht mehr öffenbar sein. Bei Fenstern und Fenstertüren  liegen die Anforderungen für Barrierefreiheit  bei max. 30 N bzw. 5 Nm bei handbetätigten Griffen. Sind die tatsächlichen Bedienkräfte für den Nutzer zu groß, werden die Elemente nicht mehr oder nur eingeschränkt genutzt. Durch Servicearbeiten bei Bestandsfenstern konnten im Forschungsprojekt die Bedienkräfte für das „Drehschließen“ zwischen 15% und 92% reduziert werden. Deshalb sollte schon bei der Ausschreibung ein Wartungsvertrag berücksichtigt werden.

Infokasten

Die ift-Fachinformation BA-02/1 „Empfehlungen zur Umsetzung der Barrierefreiheit im Wohnungsbau mit Fenstern und Türen“ enthält konkrete Empfehlungen und wertvolle Praxistipps für Bauherren, Planer, Hersteller und Händler von Bauelementen, um die barrierefreie Planung, Ausschreibung und Ausführung privater Wohngebäude, Seniorenheime und Pflegeeinrichtungen zu erleichtern.

ift-Fachinformation BA-02/1 ift Rosenheim, Oktober 2018, ISBN   978-3-86791-425-3, www.ift-rosenheim.de/shop

Cover des Buches "Empfehlung zur Umsetzung der Barrierefreiheit im Wohnungsbau mit Fenster und Türen" (ift-Fachinformation BA-02/1).
Zählt die Firmen auf die Unterstützer des F+E Projekts sind. Dabei sind: Athmer OHG, Forster Profilsysteme AG, Gretsch-Unitas GmbH Baubeschläge, Hautau GmbH, heroal - Johann Henkenhohann GmbH & Co. AG, Schüco International KG, Siegenia-Aubi KG, VEKA AG Aug. Winkhaus GmbH & Co. KG und Sapa Building Systems GmbH.

Förderstelle und Unterstützer des F+E Projekts „Barrierefreiheit im Wohnungsbau mit Fenstern und Türen“

Literatur

  1. DIN 18040-1:2010-10, „Barrierefreies Bauen – Planungsgrundlagen – Teil 1: Öffentlich zugängliche Gebäude.“ Beuth Verlag GmbH
  2. DIN 18040-2: 2011-09 „Barrierefreies Bauen – Planungsgrundlagen – Teil 2: Wohnungen“,
    Beuth Verlag GmbH
  3. ift-Richtlinie BA-01/1, „Ermittlung und Klassifizierung der Überrollbarkeit von Schwellen“,
    ift Rosenheim, Oktober 2018
  4. ift-Fachinformation BA-02/1, „Empfehlungen zur Umsetzung der Barrierefreiheit im Wohnungsbau mit Fenstern und Türen“, ift Rosenheim, Oktober 2018
  5. Haut, S.; Junge, K.; Kutscher, F.; Sack, N.:, „Bewertung der Barrierefreiheit von Bauelementen am Anwendungsbeispiel Fenster und Türen“, Forschungsbericht des ift Rosenheim, Juni 2018
  6. ift-Richtlinie FE-17/1, „Einsatzempfehlungen für Fenster bei altersgerechtem Bauen und in Pflegeeinrichtungen; Anforderungen, Planungsgrundlagen, Konstruktion und Ausführung“,ift Rosenheim, April 2016

Sandra Heinrichsberger

ift Rosenheim

Sandra Heinrichsberger, M.Sc. ist seit 2017 am ift Rosenheim als Projektingenieurin im Bereich Forschung und Entwicklung tätig. Sie betreut dort verschiedene Forschungsprojekte wie das zur Barrierefreiheit von Bauelementen sowie zur Einbruchhemmung mit hochwärmedämmendem Ziegelmauerwerk.

Knut Junge

ift Rosenheim

Dipl.-Ing. (FH) Knut Junge ist seit 2002 am ift Rosenheim tätig. Er ist Mitarbeiter des ift-Sachverständigenzentrums sowie Mitglied in Normenausschüssen und Gremien für das barrierefreie Bauen.

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