Schaubild Waage mit Faktoren Herstellung, Material, Klima, Nutzung

Bauelemente in der Kreislaufwirtschaft

CO2-Fußabdruck als Maßstab für die Nachhaltigkeit?

Lesezeit: 6 Minuten

Jeden Freitag stehen Schülerinnen und Schüler mit derartigen Sprüchen in vielen Städten und ernten nach wie vor ein gemischtes Echo darauf. Letztendlich führt aber am Kern der Forderungen, den CO2-Ausstoß innerhalb weniger Jahre maximal zu senken, kaum ein Weg vorbei.

Die Auswirkungen daraus sind vielfältig, herausfordernd und werden für alle spürbar sein. Auch das Bauen, die Nutzung von Baustoffen, der Einsatz von Fenstern, Türen und Fassaden werden bis hin zur kleinsten Schraube ihren Beitrag leisten müssen.

„System change, not climate change“

Die Europäische Union (EU) und somit auch Deutschland haben sich im Rahmen ihrer internationalen Zusagen im Pariser Klimaabkommen und im Rahmen der europäischen Green Deal Initiative zu einer deutlichen Senkung der CO2-Emissionen verpflichtet. Ziel ist eine Begrenzung der globalen Erwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius. Dies ist nur zu erreichen, wenn im Gebäudesektor, der in Deutschland ca. 30 Prozent der Treibhausgasemissionen verursacht, erhebliche CO2-Einsparungen erzielt werden.

Auf europäischer Ebene kommt durch den „Green Deal“ (Bild 1) nun auch ein großer Push in Form von finanziellen Mitteln auch für den Bausektor. Die Ziele der Europäischen Kommission, die das Bauwesen betreffen, sind wie folgt zusammenzufassen:

Mit der Sanierung unserer Wohnungen und Gebäude können wir Energie sparen, vor extremer Hitze oder Kälte schützen und gegen Energiearmut vorgehen.

In anderen Worten greift die Europäische Kommission die drei Kernthemen sommerlicher und winterlicher Wärmeschutz und Energieeffizienz unserer Produkte auf. Das „Sich-das-Heizen-nicht-mehr-leisten-können“ (= Energiearmut) ist aufgrund steigender Heizstoffpreise ein sehr aktuelles Thema, dem mit Effizienzverbesserungen in der Gebäudehülle und somit Verbrauchsreduzierung begegnet werden kann. So plant die EU:

  • die Mitgliedstaaten dazu zu verpflichten, jährlich mindestens 3 % der Gesamtfläche aller öffentlichen Gebäude zu sanieren;
  • einen Richtwert von 49 % an erneuerbaren Energien in Gebäuden bis 2030 festzulegen und
  • von den Mitgliedstaaten zu verlangen, die Nutzung von erneuerbarer Energie zur Wärme- und Kälteerzeugung bis 2030 um jährlich 1,1 Prozentpunkte zu erhöhen.
Schaubild Übersicht europäischer Green Deal
Der europäische Green Deal (Quelle: Mitteilung der Kommission – COM (2019) 640 final, Brüssel 2019)

„Ihr seid high auf CO2“

Bisher lag der Fokus im Bausektor überwiegend auf der Senkung der Energieverbräuche. Hierbei wurden Emissionen durch die Erzeugung und den Transport von Baustoffen, die Errichtung von Gebäuden und das Nachnutzungsstadium weitestgehend ausgeblendet.

Mit immer geringeren Energieverbräuchen der Gebäude und Bauelemente ergibt sich ein zunehmender Einfluss der Baustoffe auf die CO2-Emmissionen. Daher ist es an der Zeit, den Betrachtungsbereich zu erweitern und Emissionen ganzheitlich im Rahmen einer Kreislaufwirtschaft zu betrachten. Damit ergibt sich für die Produzenten die Möglichkeit, Produkte ganzheitlich zu betrachten und Emissionen aus allen Lebenszyklen zu berücksichtigen. Das macht die Anstrengungen der Industrie bei der ressourcenschonenden Herstellung von Materialen, der umweltfreundlichen Produktion der Bauelemente und dem Recycling der Produkte sichtbar.

Positive Effekte wie die Energieeinsparung durch solare Gewinne der transparenten Bauteile können genauso berücksichtigt werden wie die Reduzierung der Kühlleistung von Klimaanlagen durch einen adaptiven Sonnenschutz. Auch geringe Wartungs- und Pflegeaufwände oder lange Gebrauchszyklen sowie die Möglichkeit zur sortenreinen Trennung am Ende des Lebenszyklus werden hierbei berücksichtigt.

Schaubild Waage mit Faktoren Herstellung, Material, Klima, Nutzung
Bild 2: Alles fällt ins Gewicht bei einer ganzheitlichen Bilanzierung

Der einseitige Blick auf die Energieeinsparung während der winterlichen Nutzung gehört somit der Vergangenheit an. Mit den heute zur Verfügung stehenden Kenngrößen aus physikalischen Kennwerten und einer großen Menge aus Kriterien aus den Product Category Rules (PCR) für die verschiedenen Bauprodukte fällt es den Planer:innen oder Investor:innen allerdings schwer, das ökologisch günstigste Produkt auszuwählen. Ein objektiver Vergleich in der Planungsphase benötigt stark vereinfachte Kennzahlen oder Labels. Der CO2-Fußabdruck als Maß für die Klimafreundlichkeit eines Produkts drängt sich hier auf.

Die Umweltwirkung der Produkte erschließt sich derzeit leider erst im späteren Zertifizierungsprozess der Gebäude – sofern überhaupt eine Umweltzertifizierung angestrebt wird. Dann ist es in der Regel nicht mehr möglich, auf ressourcenschonendere Produkte umzuschwenken, da diese im Baukörper fest verbaut sind. Durch eine einfach zu erfassende Kennzeichnung wie den CO2-Fußabdruck könnten die Umweltwirkungen des Produktes über den Lebenszyklus sichtbar gemacht werden. Hierdurch werden die Entscheider:innen in die Lage versetzt, verschiedene Produkte miteinander zu vergleichen und sich bewusst für ein nachhaltiges Produkt zu entscheiden.

„Früher war der Fisch in der Packung, heute ist die Packung im Fisch!“

Auch die steigenden Preise für Baustoffe aller Art zeigen an, dass auf der Rohstoffseite ein Umdenken erforderlich ist (Bild 3). Noch immer landen viele Wertstoffe auf der Deponie oder in der Verbrennung, weil für ihren Rückbau, Trennung und Aufbereitung die Möglichkeiten fehlen. Einerseits, weil die Baustoffe speziell aus dem letzten Jahrhundert mit zweifelhaften Stoffen wie Asbest, Schwermetallen usw. belastet sein können, und dies ohne eingehende Analytik nicht zu klären ist. Andererseits liegen die Stoffe vielfach nicht in reiner Form vor, sondern sind mit Klebstoffen, Beschichtungen, Armierungsmaterialeien und vielem mehr „verunreinigt“.

Die gut funktionierenden Recycling-Systeme der Branche kümmern sich hauptsächlich um verhältnismäßig saubere Reste aus den Fertigungen. Für die Rückführung von Profilwerkstoffen aus dem Bau braucht es deutlich erweiterte Konzepte bei der Analytik und Aufbereitung.

Schaubild Bausteine des nachhaltigen Materialeinsatzes
Bild 3: Die drei Bausteine des nachhaltigen Materialeinsatzes (Bilder: © Africa Studio, Zerbor, arahan – alle stock.adobe.com)

Weiterhin müssen für Werkstoffe aus Recycling-Materialien neue Produktansätze erdacht werden. Bei der Akzeptanz des Kunden hinsichtlich der neuen Ästhetik von recycelten Werkstoffen wurde von anderen Branchen (Möbel, Fahrzeuge usw.) schon gut vorgearbeitet. Recycelte Materialien werden heute als Kaufargument genutzt. Neue Produkte sollten natürlich schon unter dem Gesichtspunkt der leichten Trennbarkeit und Sortenreinheit bei den Werkstoffen konzipiert sein, um ein sortenreines Recycling zu ermöglichen. Zukünftig ist eine artgleiche Wiederverwendung auf gleichem Qualitätsniveau von Materialien anzustreben

„2 Grad mehr und wir schwimmen umher!“

Auch mit ambitionierten Zielen bei der CO2-Vermeidung muss akzeptiert werden, dass ein Wandel des Klimas nicht mehr zu vermeiden ist. Ein Ansteigen von einer Vielzahl von klimabedingten Katastrophen und Veränderungen ist bereits im vollen Gange. Ein Tornado in Kiel, die Flut im Ahrtal, Waldbrände in Brandenburg, Hagelschneisen im Chiemgau … es ist durchaus beängstigend, wie häufig derartige Ereignisse uns mittlerweile heimsuchen.

Für Fenster, Türen und Fassaden sind daher die Randbedingungen extremer und die daraus resultierenden Konstruktionen robuster auszulegen. Die Einwirkungen, die hierbei zu berücksichtigen sind, sind vielfältig (Bild 4). Eine stabilerere Auslegung der Komponenten, geringere thermische Längenänderungen und eine höhere Temperaturfestigkeit, helle Farben, größere Widerstandsfähigkeit gegen Starkregenereignisse bis hin zur Hochwasserbeständigkeit … ein cleverer Einsatz von Design und Material ist gefragt. Aber auch die Architektur ist gefordert. Es sind viele Stellschrauben vorhanden, die Bauteile und das Gebäude fit für den Klimawandel zu machen. Größen, Fensterteilungen, Öffnungsarten, Anordnung der Fenster – ein Umdenken wie bei den Werkstoffen wird hier stattfinden (müssen).

Schaubild: Haus auf das verschiedene Klimaextreme einwirken
Bild 4: Die Zeiten werden rauer

Fazit: „Bock auf Zukunft!

Die Überschriften in diesem Beitrag sind von Protestplakaten der Fridays-for-Future-Bewegung übernommen. Sie stammen von jungen Menschen, die in wenigen Jahren die Käufer:innen und Nutzer:innen von Gebäuden und Fenstern sein werden und denen die CO2-Bilanz, der Ressourcenverbrauch und das Recycling sehr wichtig sind. Sinnvoll ist es in jedem Fall, die Fenstertechnik mit allen Aspekten wie

  • dem sommerlichen Wärmeschutz,
  • den Zugewinnen,
  • den Energieverlusten über Bauteile und die Lüftung,
  • dem Energieeinsatz bei Herstellung, Wartung und Betrieb,
  • dem Materialeinsatz

zu bilanzieren und dies leicht verständlich mit dem CO2-Fußabdruck zu kommunizieren.

Die anstehenden Veränderungen scheinen überwältigend und bedrohen bisherige Geschäftsmodelle. Dies ist aber nichts Neues. Bob Dylan hat zum Generationenkonflikt Anfang der 1960er Jahre gesagt:

„Die Schlacht, die draußen tobt, wird bald an den Fenstern rütteln und die Wände erschüttern. Denn die Zeiten ändern sich.“  (The Times They Are a-Changin’)

Und diese Änderungen bieten große Möglichkeiten, neue Produkte und Dienstleistungen an den Start zu bringen, die in dem neuen Klima bestehen. Für eine Branche, deren größter Antrieb in den letzten Jahrzehnten bereits die Optimierung der Energieverluste war, stehen die Chancen auf jeden Fall gut, diese Zukunft zu meistern.

Literatur

  1. DIN EN ISO 14040:2021-02
    Umweltmanagement – Ökobilanz – Grundsätze und Rahmenbedingungen
    Beuth Verlag GmbH, Berlin
  2. DIN EN ISO 14044:2021-02
    Umweltmanagement – Ökobilanz – Anforderungen und Anleitungen
    Beuth Verlag GmbH, Berlin
  3. DIN EN 15804:2020-03
    Nachhaltigkeit von Bauwerken – Umweltproduktdeklarationen – Grundregeln für die Produktkategorie Bauprodukte; Beuth Verlag GmbH, Berlin
  4. COM(2019) 640 final
    Mitteilung der Kommission – Der europäische Grüne Deal;
    Brüssel 2019

Prof. Jörn P. Lass

ift Rosenheim

Prof. Jörn P. Lass ist der Institutsleiter des ift Rosenheim und seit über 39 Jahren in der Fenster- und Fassadenbranche tätig. Als gelernter Glaser und Fensterbauer absolvierte er ein Studium der Holztechnik und war in leitenden Funktionen bei einem Systemgeber, Fenster- und Fassadenherstellern sowie 14 Jahre im ift Rosenheim in den Bereichen Forschung, Prüfung, Güteüberwachung, Normung und Zertifizierung tätig. Die letzten sechs Jahre leitete er als Professor an der Technischen Hochschule Rosenheim die Studienrichtung „Gebäudehülle“ und ist seit Januar 2020 als Institutsleiter wieder im ift Rosenheim.

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