Cover ift-Forschungsbericht „Bewertung der Barrierefreiheit von Bauelementen am Anwendungsbeispiel Fenster und Türen“.

Achtung Stolperfalle

Empfehlungen zur Barrierefreiheit

Lesezeit: 4 Minuten

Wer sich mit dem Thema Barrierefreiheit im privaten Wohnumfeld befasst, stößt früher oder später auf die Regelungen der nationalen DIN 18040-2 [1]. Zu Türen findet sich dort eine Vielzahl von Regelungen, zu Fenstern sind diese eher rudimentär gehalten.

Beiden Bauelementen ist gemein, dass über die normativen Vorgaben hinaus kaum Hinweise zur praktischen Umsetzung existieren. Diese Lücke soll das Forschungsvorhaben „Barrierefreiheit von Bauelementen“ (Kurztitel) schließen.

Das Forschungsvorhaben wurde mit Mitteln der Forschungsinitiative Zukunft Bau des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung gefördert (Aktenzeichen: SWD-10.08.18.7-15.08). Neben der öffentlichen Förderung wurde das Projekt sowohl ideell als auch finanziell durch folgende Projektpartner unterstützt: Athmer OHG, Forster Profilsysteme AG, Gretsch-Unitas GmbH Baubeschläge, heroal – Johann Henkenjohann GmbH & Co. KG, Rehau AG + Co., Hautau GmbH, Schüco International KG, Siegenia-Aubi KG, VEKA AG, Aug. Winkhaus GmbH & Co. KG, Sapa Building Systems GmbH.

Zielsetzung dieses Forschungsvorhabens war es, barrierefreie Anforderungsprofile für die unterschiedlichsten Nutzergruppen und Anwendungsfälle von Fenstern und Türen zu definieren. Denn die Barrierefreiheit zielt derzeit auf eine Nutzung durch möglichst alle Menschen mit und ohne Einschränkungen ab. Die Normreihe DIN 18040 zum barrierefreien Bauen orientiert sich zwar bereits an nutzerspezifischen Schutzzielen, beinhaltet jedoch keine konkreten Angaben oder individuellen Einsatzempfehlungen. Gerade im privaten Bereich und bei speziellen Einrichtungen – wie beispielsweise dem betreuten Wohnen – ist aber eine situative Ausstattung mit Fenstern und Türen erforderlich. Es soll das Optimum für die jeweilige Nutzergruppe erreicht werden und auch bezahlbar sein. Mit anderen Worten: Wenn die konkreten Einschränkungen der Bewohner bekannt sind, sind diese bei der Umsetzung zwingend zu berücksichtigen.

Im Rahmen des Forschungsvorhabens wurden hierzu Konzepte entwickelt, mit denen eine praxisnahe Bewertung der Barrierefreiheit von Bauelementen wie Fenstern und Türen ermöglicht wird. Die Erkenntnisse des Vorhabens sind in die ift-Fachinformation BA-02/1 „Empfehlungen zur Umsetzung der Barrierefreiheit im Wohnungsbau mit Fenstern und Türen“ [2] geflossen.

Cover ift-Forschungsbericht „Bewertung der Barrierefreiheit von Bauelementen am Anwendungsbeispiel Fenster und Türen“.
Bild 1: ift-Forschungsbericht „Bewertung der Barrierefreiheit von Bauelementen am Anwendungsbeispiel Fenster und Türen“

Statistische Zahlen

Bei vielen am Bau Beteiligenden herrscht nach wie vor die Annahme, dass das barrierefreie Bauen ein Umsetzen von Bedürfnissen einiger weniger Menschen ist. Die Zahlen vom Bundesamt für Statistik sprechen eine deutlich andere Sprache.

Zum Jahresende 2017 lebten über 7,8 Millionen schwerbehinderte Menschen in Deutschland und somit rund 150 000 mehr als bei der letzten Erhebung zum Jahresende 2015. Damit sind nunmehr 9,5 % der gesamten Bevölkerung in Deutschland als schwerbehindert eingestuft. Als schwerbehindert gelten Personen, denen von den Versorgungsämtern ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 und mehr zuerkannt sowie ein gültiger Ausweis ausgehändigt wurde.

Vor allem bei älteren Menschen treten Behinderungen gehäuft auf: So waren über Dreiviertel (78 %) der schwerbehinderten Menschen 55 Jahre und älter. Lediglich 2 % waren Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren.

Ergebnisse aus dem Forschungsvorhaben

Wer barrierefrei planen und bauen will, muss eine Vielzahl unterschiedlicher, mitunter gegenläufiger Faktoren berücksichtigen. Die Umsetzung stellt nicht selten ein Abwägen bzw. einen Kompromiss vielfältiger Anforderungen dar. Werden Fenster und Türen betrachtet, so treten die größten Probleme bzw. „Stolperfallen“ bei der Umsetzung in die gebaute Wirklichkeit in Bezug auf die Einhaltung der Bedienkräfte und der Schwellenhöhe auf.

Messungsmöglichkeit von Bedienkräften der Nutzer
Bild 2: Im Zuge des Forschungsvorhabens entwickelter Bedienkraftsimulator zur Messung der möglichen Bedienkräfte von Nutzern

Bedienkräfte

Die Anforderungen hinsichtlich der maximal zulässigen Bedienkräfte und -momente, die an barrierefrei nutzbaren Fenstern und Türen auftreten dürfen, sind relativ gering, d.h. es handelt sich um eine hohe Anforderung, welche von schweren Türelementen bzw. dreifach verglasten Fensterelementen kaum erreicht wird. Statt Alternativen aufzuzeigen, wird in den einschlägigen Normen und Empfehlungen tendenziell auf kraftbetätigte Elemente verwiesen.

Im Rahmen einer Befragung wurden Probanden zum einen zu Barrieren in ihrem Wohn­umfeld befragt. Zum anderen wurde mit einem eigens entwickelten Bedienkraftsimulator ermittelt, welche Bedienkräfte die Probanden aufbringen können. 

Es zeigte sich, dass vor allem bodentiefe Dreh-Kipp-Fenstertüren häufig aufgrund zu hoher Bedienkräfte nur eingeschränkt „barrierefrei“ bedienbar sind. Insbesondere das Schließen aus der gekippten Position ist dabei die Achillesferse. Grundsätzlich erwiesen sich die Grenzwerte für Bedienkräfte finger- und handbetätigter Beschläge in der Praxis als zu hoch, während sich die Grenzwerte für die Linearbewegung als akzeptabel zeigten. Durch einfache Servicearbeiten konnte die Bedienbarkeit bemängelter Fenstertüren deutlich reduziert werden. Allgemein ist festzuhalten, dass sich die Reduzierung von Flügelgewichten, beispielsweise durch geschickte Fensterteilung bzw. die Anordnung von Oberlichtern, vorteilhaft auswirkt.

In Laborversuchen wurde untersucht, wie sich Bedienkräfte im Lebenszyklus eines Elementes verändern, und welche Wechselwirkungen zwischen niedrigen Bedienkräften und weiteren Leistungseigenschaften bestehen. Es zeigt sich, dass die Bedienkräfte über den Anpressdruck in direkter Wechselwirkung mit der Luftdichtigkeit und dem Widerstand gegen Schlagregen stehen. Umfangreiche Bedienkraftmessungen an Fenstern z.B. mit Zusatzbeschlägen wurden durchgeführt und zeigten, dass verschiedene Zusatzbeschläge eine Alternative zum Kippöffnen und -schließen bieten oder dieses so erleichtern können, dass die normativen Anforderungen an geringe Bedienkräfte erreicht werden.

Schwellenhöhe

In Deutschland ist die Schwellenhöhe alleiniges Kriterium für eine barrierefreie Passierbarkeit; dabei ist die Überrollbarkeit gerade für Nutzer von Rollstühlen und Rollatoren wichtiger. Interessanterweise haben Rollatornutzer, da sie aus dem Gleichgewicht geraten können, oftmals mehr Schwierigkeiten mit Schwellen als Rollstuhlfahrer. Zur Überrollbarkeit von Schwellen wurden umfangreiche Versuche mit einem Rollwagen durchgeführt. Daraus wurde ein Messverfahren entwickelt, dessen objektive Ergebnisse der subjektiven Probandenbeurteilung gegenübergestellt wurden. Im Ergebnis können nun Schwellen anhand einer Richtlinie hinsichtlich ihrer Überrollbarkeit klassifiziert werden.

Kleiner Rollwagen mit Gewicht darauf zur Ermittlung der Überrollbarkeit von Schwellen.
Bild 3: Versuchsaufbau mit Rollwagen zur Ermittlung der Überrollbarkeit von Schwellen

Literatur

  1. DIN 18040-2:2011-09
    Barrierefreies Bauen –Planungsgrundlagen – Teil 2: Wohnungen.
    Beuth Verlag GmbH, Berlin
  2. ift-Fachinformation BA-02/1
    Empfehlungen zur Umsetzung der Barrierefreiheit im Wohnungsbau mit Fenstern und Türen.
    ift Rosenheim, Oktober 2018

Knut Junge

ift Rosenheim

Dipl.-Ing. (FH) Knut Junge ist seit 2002 am ift Rosenheim tätig. Er ist Mitarbeiter des ift-Sachverständigenzentrums sowie Mitglied in Normenausschüssen und Gremien für das barrierefreie Bauen.

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