Ein Rollwagen, der über eine Schwelle fährt, um die Überrollbarkeit zu überprüfen.

Praktische Erfahrungen zur Barrierefreiheit

Spannungsfeld Schwellenbereich

Lesezeit: 6 Minuten

Eine bodentiefe Fenstertür so herzustellen und zu montieren, dass sie als barrierefrei gilt, ist eine komplexe Aufgabe. Für den Schwellenbereich trifft dies im besonderen Maße zu.

Hier treffen in der Regel eine Vielzahl von Gewerken, wie beispielsweise Rohbau, Estricharbeiten, Bodenlegearbeiten, Fensterbau, Bauwerksabdichtung, aufeinander. Alle diese Gewerke haben ihre eigenen Normen und Toleranzen. Diese gewerkeübergreifende Schnittstelle bedarf einer detaillierten Fachplanung. Dies ist – vor allem im Sanierungsfall – kaum oder nur unzureichend gegeben. Der Fenstermonteur findet oft eine Bausituation vor, die den niveaugleichen Übertritt kaum herstellen lässt; fehlende oder nicht ausreichende Flächen für Abdichtungsmaßnahmen, notwendige Kompensationsmaßnahmen wie Vordächer, kein Entwässerungskonzept sind an der Tagesordnung.

Erschwerend kommen zu den grundsätzlichen Vorgaben des Mindestwärmeschutzes (Tauwasserfreiheit) mitunter hohe Anforderungen an das Fensterelement hinzu, beispielsweise hinsichtlich des Schallschutzes und der Einbruchhemmung und damit zusätzlich zur geforderten barrierefreien Schwellenausführung.

Unklare Begriffe

Was bedeutet schwellenlos?

Für das barrierefreie Bauen ist in Deutschland die DIN 18040 mit den Teilen 1 und 2 maßgeblich. Demnach sind „untere Türanschläge und Schwellen“ grundsätzlich nicht zulässig. Nur in Ausnahmefällen, falls „technisch unabdingbar“, gilt eine maximale Schwellenhöhe von 2 cm.

Erfahrungen in der Baupraxis zeigen, dass diese Vorgaben Raum zur großen Diskussion bieten. Zum einen ist die Formulierung „schwellenlos“ ungenau, denn – überspitzt gesagt – würde dies einen durchgängigen Bodenbelag bzw. das Fehlen des unteren Abschlusses bedeuten und damit  schwellenlos. Nach EN 12519 ist eine Schwelle definiert als „horizontales Teil am unteren Türrahmen, über dem der Türflügel ruht und das den Fußboden zwischen zwei angrenzenden Bereichen trennt“.

Zielführender wäre es daher, eine Niveaugleichheit zwischen der Schwelle und den angrenzenden Bodenbereichen zu fordern. Doch auch diese Formulierung hat Tücken: So wird bei vielen Hebe-Schiebetüren die Laufschiene des Gangflügels in einer Vertiefung geführt. In der Folge kann zwischen den angrenzenden Bodenbelägen dieser Schwelle kein Niveauunterschied festgestellt werden, jedoch wird durch die Vertiefung erneut gegebenenfalls ein Hindernis geschaffen. Kleine Räder z.B. von Rollstühlen können in diesen breiten Laufschienen steckenbleiben.

Bei vielen Bauschaffenden, vom Architekten bis zum Verarbeiter, wird eine „barrierefreie Schwelle“ wie selbstverständlich gleichgesetzt mit einer maximalen Schwellenhöhe von 2 cm. Laut DIN 18040 handelt es sich dabei jedoch um eine Ausnahme, d. h. das Ziel ist eine möglichst geringer Schwellenhöhe, im Idealfall 0 mm. Beispiele für eine „technische Unabdingbarkeit“ lassen sich in Neubauten mit üblichen Anforderungen an die Bauelemente kaum mehr finden. An der Tagesordnung sind aber Fensterbauer, die auf unzureichend geplanten Anschlussbereichen „barrierefreie Schwellen“ ausführen sollen und dann nach konstruktiven Lösungen suchen.

Was hoch darf eine „Nullschwelle“ sein?

Dabei handelt es sich um keinen eindeutig definierten oder gar normierten Begriff, wenngleich er in der Praxis häufig anzutreffen Ist. Schwellen mit 0 mm Höhe sind technisch für Außenbauteile, die ggf. eine Regenrinne mit Gitterrostabdeckung aufweisen, kaum realisierbar. Dennoch bietet die Branche gute Konstruktionen mit sehr geringen Höhenunterschieden an, die als barrierefrei anzusehen sind und gleichzeitig zwingend notwendige Eigenschaften wie Luftdurchlässigkeit, Schlagregendichtigkeit etc. sicherstellen. Schwellen der Überrollbarkeitsklasse 5 und 6 (siehe Abschnitt 4) würden wir hierzu zählen. Dabei handelt es sich um angeschrägte Schwellen bis ca. 4 mm Höhe.

Verschärfte Vorgaben

Bemerkenswert ist eine sich abzeichnende Verschärfung der gesetzlichen Vorgaben. In der Verwaltungsvorschrift der technischen Baubestimmungen des Landes Nordrhein-Westfalen (Stand Juni 2019) wurden die Anforderungen an barrierefreie Wohnungen neu gefasst. Untere Türanschläge und Schwellen aller Türelemente von Wohnungen (Anwendungsbereich der DIN 18040-2) sind nun explizit nicht mehr zulässig. Der Satzteil „sind sie technisch unabdingbar, dürfen nicht höher als 2 cm sein“ wurde gestrichen. Hierzu zählen auch die Hauseingangstüren und den Wohnungen zugehörige (Brandschutz-)Türen im Erschließungsbereich wie z.B. Zugangstüren zu Tiefgaragen. Im Ergebnis wird eine Schwelle mit einer Höhe von 0 mm gefordert. Derartige Schwellensysteme sind – vor allem im Gebäudebestand – nur schwer oder mit einem wirtschaftlich nur kaum vertretbaren Aufwand realisierbar. Für Fenstertüren (Balkon- und Terrassentüren) gilt diese Verschärfung allerdings nicht.

In der Praxis ist eine Schwellenhöhe von 2 cm für zahlreiche Nutzer – insbesondere von solchen, die auf Rollatoren angewiesen sind – bereits nicht mehr überwindbar, vor allem wenn die Schwelle einen rechteckigen Querschnitt aufweist. Um das normative Schutzziel der „sicheren Passierbarkeit“ zu erfüllen, ist es zielführender, anstelle einer maximalen Schwellenhöhe eine gute oder sehr gute Überrollbarkeit zu fordern. Im Pendant zur DIN 18040, der ÖNORM B 1600 unserer österreichischen Nachbarn, findet sich diese Forderung bereits seit mehreren Jahren.

Prüfung der Überrollbarkeit

Eine gute Überrollbarkeit von Schwellen ist ein wichtiger Aspekt, um Nutzern von Rollatoren und Rollstuhlfahrern eine möglichst selbstständige Teilhabe an der baulichen Umwelt zu ermöglichen. Aber auch Nutzer von Kinderwagen oder ähnlichem profitieren durch den Komfortgewinn. Neben der Schwellenhöhe spielt vor allem auch die Formgebung der Schwelle eine entscheidende Rolle. Doch wie kann die Überrollbarkeit von Schwellenprofilen bewertet werden? Die ÖNORM B 1600 gibt hierzu keine Hinweise. Im Rahmen des Forschungsprojektes „Bewertung der Barrierefreiheit von Bauelementen am Anwendungsbeispiel Fenster und Türen“ wurde vom ift Rosenheim ein solches Verfahren entwickelt. Schwellenprofile können jetzt objektiv bewertet und definierten Klassen der Überrollbarkeit zugeordnet werden und sind somit auch vergleichbar. Die daraus entwickelte Richtlinie richtet sich vor allem an den Sanierungsbereich. Wenn kein niveaugleicher Übergang realisierbar ist, soll zumindest eine bestmöglich überrollbare Lösung gefunden werden.

Cover des Buches "Ermittlung und Klassifizierung der Überrollbarkeit von Schwellen".
Bild 1: ift-Richtlinie BA-01/1 Ermittlung und Klassifizierung der Überrollbarkeit von Schwellen
Ein Rollwagen, der über eine Schwelle fährt, um die Überrollbarkeit zu überprüfen.
Bild 2: Rollwagen zur Untersuchung der Überrollbarkeit von Schwellen

Mit Hilfe eines Überrollwagens (Bild 2), welcher in beide Richtungen über das Schwellenprofil gezogen wird, wird die hierfür notwendige Kraft ermittelt. Die Richtlinie sieht sechs Klassen der Überrollbarkeit vor, wobei die Klasse 6 die beste – d.h. einen niveaugleichen Übergang ohne Höhenversatz (Tabelle 1) – und die Klasse 1 die schlechteste Überrollbarkeit darstellt. Die sechs Klassen wurden gewählt, um den unterschiedlichen Überrollbarkeitseigenschaften Rechnung zu tragen und Auswahlmöglichkeiten zu schaffen. Zur Klassifizierung wird die höhere Kraft der beiden Überrollrichtungen herangezogen.

Empfohlene Klassen

Für den barrierefreien Neubau sollten die Klassen 5 und 6 angestrebt werden. Bei den Überrollversuchen mit Probanden (Nutzer von Rollstühlen und Rollatoren) wurden diese als sehr gut bzw. gut nutzbar bewertet.

Für den Sanierungsbereich ist auch ein möglichst niveaugleicher Übergang das Ziel. Da das nicht immer unter wirtschaftlich und technisch vertretbaren Gesichtspunkten sicherstellbar ist, empfiehlt das ift Rosenheim in der ift-Fachinformation BA-02/1 „Empfehlungen zur Umsetzung der Barrierefreiheit im Wohnungsbau mit Fenstern und Türen“ mindestens die Klasse 2 für Rollstuhlfahrer und die Klasse 3 für Nutzer von Rollatoren. Die Unterscheidung der Klassen hierbei ist der Erkenntnis geschuldet, dass Rollatornutzer die Überrollbarkeit von Schwellen tendenziell schlechter bewerten als Rollstuhlnutzer. Mit anderen Worten, sie haben mehr Schwierigkeiten als Rollstuhlnutzer. Geringere Höhen und ungünstige Formgebung der Schwellen stellen bereits eine „unüberwindbare“ Barriere dar. Schwellenhöhen von 20 mm wurden von beiden Nutzergruppen als „schwer“ oder gar „nicht möglich“ empfunden und eingestuft. Die Klasse 2 für Rollstuhlfahrer bzw. 3 für Nutzer von Rollatoren stellen einen Kompromiss dar. In Tabelle 1 findet sich eine orientierungsmäßige Zuordnung unterschiedlicher Schwellenprofile zu den Überrollbarkeitsklassen.

Die Tabelle zeigt in Spalten den Typ, die Schematische Darstellung, die Geometrie, die Kraft zum Überrollen in N und die Überrollbarkeit. Nähere Informationen zur Darstellung erhalten Sie auf Anfrage unter +49 8031 261-2150.
Tabelle 1: Bewertung unterschiedlicher Schwellenausführungen

Zusammenfassung

Barrierefreie Schwellenbereiche müssen geplant werden. Bei niveaugleichen Übergängen sind Wechselwirkungen mit anderen Leistungseigenschaften wie Schlagregendichtigkeit, Schalldämmung, Einbruchhemmung zu berücksichtigen.

Das ift Rosenheim hat, basierend auf den Ergebnissen eines Forschungsprojektes, eine Richtlinie zur Ermittlung und Klassifizierung der Überrollbarkeit von Schwellen erarbeitet. Hersteller von Schwellenprofilen können nun die Überrollbarkeit ihrer Produkte beim ift Rosenheim klassifizieren lassen und die Klasse der Überrollbarkeit als Produkteigenschaft ausweisen. Eine objektive Vergleichbarkeit verschiedenster Schwellenprofile sowie eine klare Vorgabe in der Ausschreibung sind damit gegeben.

Literatur

  1. DIN 18040-1:2010-10
    Barrierefreies Bauen – Planungsgrundlagen – Teil 1: Öffentlich zugängliche Gebäude
    Berlin: Beuth Verlag GmbH
  2. DIN 18040-2:2011-09
    Barrierefreies Bauen – Planungsgrundlagen – Teil 2: Wohnungen, Berlin: Beuth Verlag GmbH
  3. ÖNORM B 1600:2017-04-01
    Barrierefreies Bauen – Planungsgrundlagen
    Österreichisches Normungsinstitut (ON), Wien, 2013.
  4. DIN EN 12519:2019-02
    Fenster und Türen – Terminolgie
    Berlin Beuth Verlag GmbH

Knut Junge

ift Rosenheim

Dipl.-Ing. (FH) Knut Junge ist seit 2002 am ift Rosenheim tätig. Er ist Mitarbeiter des ift-Sachverständigenzentrums sowie Mitglied in Normenausschüssen und Gremien für das barrierefreie Bauen.

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