Das Foto zeigt Probekörper (flache Plättchen) für Alterung und Untersuchung nach ISO 22196

Oberflächen mit antimikrobiellen Eigenschaften

Untersuchungen zur Dauerhaftigkeit

Lesezeit: 5 Minuten

Bereits Jahre vor der aktuellen Pandemie gab es im Baubereich Produkte mit antimikrobiell wirkenden Oberflächen, z. B. Tür- und Fenstergriffe, Türblätter und -rahmen sowie Beschläge, Handläufe, Haltestangen, Lichtschalter und Sanitäreinrichtungen.

Die genannten Bauelemente/Einrichtungen werden häufig von vielen Menschen berührt bzw. gemeinsam genutzt. Dabei können Keime, auch Krankheitserreger, von einem Menschen zum nächsten durch sogenannte Kontakt- oder Schmierinfektion übertragen werden. Die antimikrobielle Ausstattung soll das Überleben und Wachstum von Keimen auf den Bauteiloberflächen erschweren bzw. die Keime abtöten.

Die antimikrobielle Wirkung lässt sich auf Basis der ISO 22196 [1] gegen Bakterien und der ISO 21702 [2] gegen Viren nachweisen. Häufig wird dabei jedoch nur der Neuzustand berücksichtigt. Die Dauerhaftigkeit der antimikrobiellen Ausstattung wird selten geprüft. Falls doch, so werden keine standardisierten Szenarien zur „Alterung“ bzw. reale Belastungen der Oberflächen angewendet.

Ziel des gemeinsamen Forschungsvorhabens von Fraunhofer IBP und ift Rosenheim ist es daher, zu untersuchen, ob typische Belastungen bzw. Alterungen der Oberfläche zu signifikanten Änderungen der antimikrobiellen Eigenschaften führen. Nach Möglichkeit sollen die Grundlagen für ein standardisiertes Alterungsprotokoll erarbeitet werden, das zum Nachweis der Leistungseigenschaft „Dauerhaftigkeit der antimikrobiellen Wirkung“ herangezogen werden kann. Dieses Projekt wird gefördert vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung im Auftrag des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen aus Mitteln der Zukunft Bau Forschungsförderung.

Sachstand der Untersuchungen

Untersuchte Beschichtungssysteme

Für die Untersuchungen wurden ausschließlich dauerhaft ausgestattete Produkte, deren antimikrobielle Eigenschaften über die Lebensdauer des Produktes erhalten bleiben sollen, ausgewählt. Daneben gibt es auch Sprays für die antimikrobielle Nachbehandlung von Standardprodukten. Solche Beschichtungen müssen i.d.R. nach 6 bis 12 Monaten erneuert werden. Sie werden in den Untersuchungen nicht berücksichtigt.

Der am weitesten verbreitete Wirkstoff für die dauerhafte antimikrobielle Ausstattung von Bauprodukten ist Silber, gefolgt von Kupfer ([4] bis [6]). Dabei sind es die Ionen dieser Metalle, die in einem feuchten Milieu Mikroorganismen angreifen. Diese Wirkstoffe können in verschiedenen Formen in die Produkte bzw. deren Oberflächen eingebracht werden. Kupfer tritt üblicherweise in Reinform oder als Legierungselement auf. Silber dagegen wird als Partikel (Mikrosilber, ≈10 µm) oder Nanosilber (<100 nm) in einen Grundwerkstoff, z. B. einen Kunststoff, einkompoundiert oder ist Bestandteil einer Oberflächenbeschichtung (Lack, PVD, Sol-Gel).

Die Auswahl von Proben für diese Studie sollte das Spektrum der Arten, Formen und Verarbeitung antimikrobieller Wirkstoffe in Bauprodukten abbilden. Folgende Probenmaterialien konnten eingeworben werden:

  1. Vollmaterial Kunststoff mit compoundierten Mikrosilberpartikeln
  2. Vollmaterial Kupfer-Legierung
  3. Pulverlackbeschichtung mit integrierten Mikrosilberpartikeln
  4. Anorganische PVD-Beschichtung mit Nanosilber
  5. Anorganische Sol-Gel-Beschichtung mit Nanosilber

Auf die genaue Bezeichnung der Produkte bzw. eine detaillierte Spezifikation der Materialien wird bewusst verzichtet, um die Vertraulichkeit der Untersuchungen gegenüber den Herstellern/Lieferanten zu gewährleisten. Es geht in dieser Studie letztendlich nicht darum, Produkte zu bewerten und miteinander zu vergleichen.

Reale Bauteile wie Griffe, Stangen, Schalter sind durch ihre Größe und Form sowie ihre Verschiedenheit, wenn sie aus unterschiedlichen Produktreihen stammen, wenig bzw. gar nicht geeignet für eine standardisierte, künstliche Alterung bzw. die mikrobiologischen Standardtests.

Die Probekörperform und -dimensionen ergaben sich daher aus den Anforderungen der gewählten Prüfnorm ISO 22196 (s. a. 2.3), nämlich flache Plättchen von etwa 50 mm x 70 mm Größe. Bild 1 zeigt typische Probekörper.

Das Foto zeigt Probekörper (flache Plättchen) für Alterung und Untersuchung nach ISO 22196
Bild 1: Probekörper für Alterung und Untersuchung ISO 22196
Das Foto zeigt ein Abrieb-Tester-Gerät zur Simulation der Belastung durch Desinfektion oder Reinigung. Er verfügt über einen pneumatischen Zylinder, einen mit Mikrofasertuch bespannten Abriebkörper.
Bild 2: Abriebtester zur Simulation der Belastung durch Desinfektion oder Reinigung

Belastungen

In der Praxis muss primär mit folgenden Belastungen von antimikrobiellen Oberflächen gerechnet werden:

  1. Solare Bestrahlung (incl. UV) (insb. in der Außenanwendung)
  2. Erhöhte Temperatur sowie Temperaturwechsel (insb. in der Außenanwendung)
  3. Einwirkung von Regen (insb. in der Außenanwendung)
  4. Mechanischer Abrieb
  5. Einwirkung von Schweiß
  6. Einwirkung von Desinfektions-/Reinigungsmitteln

Um den Einfluss auf die antimikrobielle Eigenschaft ermitteln zu können, werden die Probekörper im Labor mit den genannten Einwirkungen belastet, die idealerweise aus normativen Prüfungen abgeleitet werden können.

Im Projekt werden unterschiedliche Belastungsgrößen sinnvoll zusammengefasst. So erfolgt z. B. die Belastung mit UV-Strahlung in einem Zyklus, in dem die Oberfläche auch befeuchtet wird. Die Einwirkung von Desinfektions-/Reinigungsmitteln erfolgt parallel mit einer abrasiven Belastung. Hierzu wird das Desinfektions-/Reinigungsmittel mit einem getränkten Mikrofasertuch auf die Oberfläche aufgebracht und gleichzeitig die Abrasion durch eine translatorische Bewegung des Tuches nachgestellt (Bild 2).

Antimikrobielle Untersuchungen

Die ISO 22196 wurde als Grundlage für die Untersuchung gewählt, weil sie explizit ein Verfahren zur Bewertung von antibakteriell behandelten Kunststoffen und anderen nicht porösen Oberflächen von Produkten (wie Beschichtungsmaterialien und nichtrostenden Stahl) festlegt. In ihrer ursprünglichen Version von 2007, die aus der JIS Z 2801:2000 ([8]) hervorgegangen ist, war sie auf Kunststoff Oberflächen beschränkt. 2011 wurde der Anwendungsbereich auf andere nicht poröse Oberflächen ausgeweitet.

Die Oberflächen der ausgerüsteten Proben und entsprechende nicht ausgerüstete Kontrollproben werden mit einer Bakteriensuspension mit einer definierten Zellzahl beimpft und diese wird mit einer Abdeckfolie gleichmäßig verteilt (Bild 3). Pro Probenmaterial werden 3 Probekörper parallel untersucht. Nach einer Einwirkzeit von 24 Stunden werden die Bakterien mit einer Neutralisationslösung von der Oberfläche abgespült und in verschiedenen Verdünnungsstufen auf einem Nährmedium ausplattiert. Die Anzahl der lebenden Bakterien wird durch Bestimmung der koloniebildenden Einheiten ermittelt. Die antibakterielle Wirkung errechnet sich aus der Differenz zwischen den Werten der Kontrolle und des Probenmaterials.

Für alle oben aufgeführten antimikrobiell ausgerüsteten Probenmaterialien konnte eine Keimreduktion nachgewiesen werden. D. h. im Neuzustand sind die antimikrobiellen Ausrüstungen wirksam.

Im weiteren Verlauf des Vorhabens werden jetzt sukzessive die Probenmaterialien untersucht, nachdem sie den o. g. Belastungen ausgesetzt wurden. Parallel zu den mikrobiologischen Untersuchungen werden die Materialien noch mittels Mikroskopie (Raster-Elektronenmikroskopie und optische Mikroskopie), Infrarotspektroskopie und Röntgenbeugung untersucht. Damit können strukturelle Veränderungen der Materialoberflächen erfasst werden, die ggf. durch den beschleunigten Alterungsprozess verursacht wurden.

Das Foto zeigt das  Abdecken des Inokulums mit Folie durch eine Labormitarbeiterin.
Bild 3: Abdecken des Inokulums mit Folie

Literatur

  1. ISO 22196:2011
    Measurement of antibacterial activity on plastics and other non-porous surfaces.
    Beuth Verlag GmbH
  2. ISO 21702:2019
    Measurement of antiviral activity on plastics and other non-porous surfaces.
    Beuth Verlag GmbH
  3. Antimikrobielle Oberflächen zur Infektionsprävention.
    VDI-Statusreport, April 2020
  4. Smart surfaces to tackle infection and antimicrobial resistance.
    Imperial College London, Briefing Paper No 4, March 2020
  5. Silver as an antimicrobial: Facts and gaps in knowledge.
    Critical Reviews in Microbiology, 2012; Early Online: 1–11
  6. Antimikrobielle Wirksamkeit von Kupfer als Beitrag zur Infektionsprävention.
    Deutsches Kupferinstitut, Düsseldorf, 3. aktualisierte Auflage, 2013
  7. JIS Z 2801, Japanese Industrial Standard:
    Antimicrobial products – Test for antimicrobial activity and efficacy

Norbert Sack

ift Rosenheim

Dipl.-Phys. Norbert Sack ist Leiter der Abteilung Forschung und Entwicklung und seit 1995 am ift Rosenheim tätig. Er arbeitet in verschiedenen nationalen und internationalen Normenausschüssen und Sachverständigengremien mit und ist Lehrbeauftragter an der Hochschule Rosenheim.

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