Neufassung DIN 18040

Barrierefreies Bauen – Auswirkung auf die Branche

Lesezeit: 8 Minuten

Das Wichtigste vorab: Die Neufassung der Normreihe DIN 18040 „Barrierefreies Bauen – Planungsgrundlagen“ ist nach wie vor nicht veröffentlicht.

Im Ergebnis gelten derzeit (wie bisher) die Fassungen von

  • Teil 1    Öffentlich zugängliche Gebäude          Oktober 2010
  • Teil 2    Wohnungen                                          September 2011
  • Teil 3    Öffentlicher Verkehrs- und Freiraum   Dezember 2014

Diesem Umstand wird auch in der im August 2024 veröffentlichten Muster-Verwaltungs-vorschrift Technische Baubestimmungen 2024/1(MVV TB 2024/1) Rechnung getragen. Sie verweist in A.4 „Sicherheit und Barrierefreiheit bei der Nutzung“ auf die (alten) Fassungen der Normreihe.

Die Tabelle zeigt einen Auszug aus Teil A der MVV TB 2024/1. Nähere Informationen zur Darstellung erhalten Sie auf Anfrage unter +49 8031 261-2150.
Bild 1: Auszug aus Teil A der MVV TB 2024/1 (Quelle: DIBt)

Mit anderen Worten: Die Spielregeln haben sich in den letzten Jahren nicht geändert. Ferner findet sich kein Verweis auf die europäische Norm DIN EN 17210.

Stand der Normungsarbeit

Dennoch stehen Änderungen an. Mit Erscheinen der übergeordneten europäischen DIN EN 17210 „Barrierefreiheit und Nutzbarkeit der gebauten Umwelt – Funktionale Anforderungen" im Jahr 2021 wurde eine Überarbeitung bzw. Anpassung der nationalen Normreihe DIN 18040 erforderlich. Zur DIN EN 17210 ist anzumerken, dass sie vornehmlich Schutzziele formuliert und Empfehlungen enthält. Mithin sind die dort getroffenen funktionalen Anforderungen rein qualitativ formuliert, d.h. ohne konkrete quantitative Angaben und somit schwierig für die praktische Anwendung. Auch diese Norm wird bereits wieder überarbeitet.

Für die Überarbeitung bzw. besser gesagt Anpassung der nationalen Normreihe DIN 18040 standen (ursprünglich) drei Jahre zur Verfügung. Hierzu wurden drei Entwürfe mit Fassung

  • Teil 1   Öffentlich zugängliche Gebäude          Februar 2023
  • Teil 2   Wohnungen                                          Februar 2023
  • Teil 3   Öffentlicher Verkehrs- und Freiraum   Januar 2023

veröffentlicht

Anzumerken ist, dass normative Anforderungen an die Barrierefreiheit von Fenstern bzw. Fenstertüren nur im Teil 2 zu finden sind. Naturgemäß gab es – wie schon bei früheren Überarbeitungen – eine Vielzahl von Einsprüchen und Kommentaren. Für Teil 1 „sage und schreibe“ 570, für Teil 2 immerhin noch 380! Mit dem Ergebnis, dass die Neufassungen bis dato nicht vorliegen. Ein wesentlicher Grund hierfür war, dass der Normausschuss zu Beginn der dreijährigen Frist mit der deutschen Übersetzung der über 300 Seiten umfassenden EN 17210 befasst war.

Wann die überarbeitete Normreihe tatsächlich veröffentlicht wird lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht eindeutig bestimmen, definitiv nicht mehr in 2024. Zu bedenken ist, dass nach Veröffentlichung der Normen bis zur Aufnahme in den VV TB der einzelnen Bundes-länder ebenfalls Zeit verstreicht.

Damit wird aus der künftigen Normreihe DIN 18040 eine „Anwendungsnorm“ zur DIN EN 17210, welche die technische Umsetzung der europäischen Anforderungen unter Nennung von Lösungsbeispielen darlegt, also zeigt, wie die verbalen Schutzziele in gebaute Wirklichkeit umgesetzt werden.

Das Foto zeigt eine Person im Rollstuhl, die sich auf einem Steg an einem See befindet.
Bild 2: Quo Vadis DIN 18040? (Quelle: © Jenny Sturm – stock.adobe.com)

Änderungen aus den Entwürfen

Grundsätzlich gibt es für Fenster und Fenstertüren nur punktuelle Änderungen bzw. Ergänzungen. So bleibt die Struktur (Inhaltsverzeichnis, Abbildungen etc.) im Wesentlichen erhalten. Einige Abschnitte wie beispielsweise 5.3.2 „Fenster" (nur im Teil 2) wurden wortgleich übernommen. Auch die wesentlichen Anforderungen an Türen und Fenster und deren Einbaulage sind –  mit Ausnahme der Angabe zur max. zulässigen Schwellenhöhe – nicht wesentlich geändert worden. Erwartungsgemäß erhöhte die Überarbeitung auch den Umfang der Norm, was nicht verwundert, da die europäische Grundlage DIN EN 17210 mit stolzen 324 Seiten aufwartet.

Viele der normativen Anforderungen richten sich nicht primär an das Bauteil selbst, sondern an die Zugänglichkeit und Erreichbarkeit. Diese werden in hohem Maße durch die Positionierung im Baukörper bestimmt. Letztlich ist das barrierefreie Bauen vorrangig eine Planungsaufgabe, die durch Fachplaner erfolgen sollte. Hinweise hierfür bietet die ift-Fachinformation BA-02/1 „Empfehlungen zur Umsetzung der Barrierefreiheit im Wohnungsbau mit Fenstern und Türen". In dieser Publikation werden Zielkonflikte und praktische Lösungen aufgezeigt.

Zu sehen ist das Cover der ift-Fachinformation BA-02/1.
Bild 3: ift-Fachinformation BA-02/1

Nachfolgend werden auszugsweise die wichtigsten Änderungen für Fenster und Türen aufgeführt. In Abschnitt 1, Anwendungsbereich, findet sich die – gegenüber der Vor-gängernorm – leicht geänderte Formulierung: „Dieses Dokument ist anzuwenden für Neu-bauten. Für die Planung von Umbauten oder Modernisierungen ist das Dokument sinngemäß anwendbar."

Wir verstehen dies so, dass die in der Norm vorgegebenen Schutzziele auch im Altbau anzustreben sind. Dies ist aber aufgrund von Rahmenbedingungen, insbesondere baulichen Begebenheiten, nicht immer und überall vollumfänglich ohne massiven Eingriff in die Bausubstanz zu erreichen. Welche der Anforderungen umsetzbar sind, ist im konkreten Einzelfall zu entscheiden. Diese Entscheidung ist im Grunde ein Abwägen und eine Kompromisssuche und sollte nach Möglichkeit mit allen Beteiligten erfolgen (Bauherr, Planer und Hersteller/Monteur).

Der Abschnitt 3 „Begriffe" in der Entwurfsfassung wurde deutlich erweitert – auf nunmehr 15 Begriffe (in Teil 1). Hier finden sich nun erstmalig Definitionen zu folgenden Aspekten

3.11 Schwelle

„Horizontales Teil am unteren Türrahmen, über dem der Türflügel ruht und das den Fußboden zwischen zwei angrenzenden Bereichen trennt"
[Quelle: DIN EN 12519:2019-02, 3.58, modifiziert – Anmerkung 1 zum Begriff entfernt]

3.12 Niveaugleicher Übergang

„Horizontaler Übergang zwischen zwei baulichen Ebenen mit einem toleranzbedingten Höhenversatz von max.4 mm" und Anmerkung 1 zum Begriff: „Übergangsschienen und Übergangsprofile sind dabei zulässig."

Damit wurde die missverständliche Begrifflichkeit „schwellenlos" durchgängig ersetzt durch „niveaugleicher Übergang" und mit einer Toleranzangabe versehen. Zudem wurde das in der Praxis häufig diskutierte Thema der Toleranzen konkretisiert und erstmalig und beispielhaft auf DIN 18202 „Toleranzen im Hochbau – Bauwerke" (undatiert) verwiesen. So findet sich in beiden Teilen der E DIN 18040 in Abschnitt 4 und 5 folgender Hinweis:

Abschnitt 4 legt „Fertigmaße fest. Fertigmaße beinhalten Toleranzen“ (siehe z. B. DIN 18202). Toleranzen dürfen nicht dazu führen, dass geforderte Mindestmaße unterschritten und Maximalmaße überschritten werden. Sie sind daher im Planungsprozess zu berücksichtigen. Abweichungen in der Ausführung können nur toleriert werden, soweit die in diesem Dokument bezweckte Funktion erreicht wird."

Die angesprochenen Fertigmaße sind in vielen Fällen eine Summe von mehreren Einzel-maßen. Diese ergeben sich meistens aus verschiedenen Einzelgewerken mit eigenen Vorgaben und Toleranzangaben, die sich auch ungünstig addieren können. Im Ergebnis ist es denkbar, dass sich rechnerisch Abweichungen ergeben können, die mit dem barrierefreien Schutzziel nicht korrelieren. Klassisches Beispiel hierfür ist die Angabe zur Drückerhöhe. Es empfiehlt sich, engere Toleranzvorgaben bzw. höhere Ausführungsgenauigkeiten seitens der Planung vorzugeben, damit das vorgegebene Schutzziel sicher erreicht werden kann.

Schwellenausbildung von Türen

Bereits jetzt zeichnet sich ab, dass wieder die Formulierungen zur Schwellenausbildung bzw. deren Auswirkungen auf die Konstruktion im Fokus der Diskussionen stehen werden (wie schon bei früheren Einspruchsrunden). In Tabelle 1 sind die Formulierungen zu den Anforderungen in den verschiedenen Normen gegenübergestellt. Wird die „neue" Formulierung der „alten" gegenübergestellt, fällt auf:

  • der Text ist deutlich länger
  • aus „sind nicht zulässig" wurde „nach Möglichkeit sollten"
  • Begriff „schwellenlos" gegen „niveaugleich" getauscht
  • Reduzierung der Ausnahmeregelung für die Schwellenhöhe von 2 cm auf 1 cm Schwellenhöhe, wobei eine genaue Beschreibung dieses Maßes nicht erfolgt.
  • Formulierung „Untere Türanschläge sind nicht zulässig. Sind sie aus technischen Gründen unabdingbar..." wird durch „Können Türanschläge nicht vermieden werden, darf die Schwellenhöhe ..." ersetzt.
  • Begriff „Überrollbarkeit und Stolpergefahr“ aufgenommen
  • Begriffe „abgeschrägt oder abgerundet' erwähnt, aber nicht eindeutig geregelt

Praxishinweis zur Schwellenhöhe

Um den häufigen „Millimeter-Diskussionen" hinsichtlich der Schwellenhöhe entgegenzu-wirken und dem formulierten Schutzziel „leicht überrollbar" einen reproduzierbaren Wert zuordnen zu können, hat das ift Rosenheim die ift-Richtlinie BA-01/1 „Ermittlung und Klassifizierung der Überrollbarkeit von Schwellen“ veröffentlicht, die eine Ermittlung und Klassifizierung der Überrollbarkeit ermöglicht. Im Ergebnis können verschiedene Schwellenausführungen objektiv verglichen und quantifiziert ausgeschrieben werden. Zur Vermeidung von Diskussionen oder Streitigkeiten, sollte der Auftragnehmer vor der Ausführung die technisch realisierbare Schwellenhöhe kommunizieren und vom Auftraggeber freigeben lassen.

Zu sehen ist das Cover der ift-Richtlinie BA-01/1.
Bild 4: ift-Richtlinie BA-01/1
Die Tabelle zeigt eine Übersicht der Änderungen alte/neue DIN 18040. Die Spalten sind beschriftet mit "Alte Formulierung", "Europäische Formulierung" und "Neue Formulierung".Nähere Informationen zur Darstellung erhalten Sie auf Anfrage unter +49 8031 261-2150.
Tabelle 1: Übersicht der Änderungen alte/neue DIN 18040 (Auswahl) (Quelle: ift Rosenheim)

Zusammenfassung

Derzeit gelten nach wie vor die „alten“ Fassungen der DIN 18040. Die Veröffentlichung der novellierten Normenreihe DIN 18040 sollen – so der derzeitige Stand – mit gleichem Ausgabe-Datum erfolgen. Der für den Hochbau weniger interessante Teil 3 „Öffentlicher Verkehrs- und Freiraum“ ist weitgehend abschließend beraten. Teil 1 „Öffentlich zugäng-liche Gebäude“ steht kurz vor dem Abschluss. Teil 2 „Wohnungen“ sollte vergleichsweise schnell umsetzbar sein, da ein Großteil der Anforderungen identisch zu denen in Teil 1 ist. Nichtsdestotrotz wird bis zur Aufnahme in die VV TB der jeweiligen Bundesländer noch Zeit verstreichen.

Die wesentliche Änderung, auf die sich die Branche vermutlich einstellen muss, ist die Änderung in der Schwellenhöhe auf 10 mm. Wir reden dabei von der Ausnahmeregelung. Anzustreben ist der niveaugleiche Übergang. Fakt ist allerdings, dass dann die klassische vierseitig umlaufende Anschlagdichtung technisch kaum noch realisierbar ist.

Literatur

  1. DIN 18040-1:2010-10
    Barrierefreies Bauen – Planungsgrundlagen –
    Teil 1: Öffentlich zugängliche Gebäude
    DIN Media GmbH, Berlin https://www.dinmedia.de/de
  2. DIN 18040-2:2011-09
    Barrierefreies Bauen – Planungsgrundlagen –
    Teil 2: Wohnungen
    DIN Media GmbH, Berlin https://www.dinmedia.de/de
  3. DIN 18040-3:2014-12
    Barrierefreies Bauen – Planungsgrundlagen –
    Teil 3: Wohnungen
    DIN Media GmbH, Berlin https://www.dinmedia.de/de
  4. DIN EN 17210:2021-08
    Barrierefreiheit und Nutzbarkeit der gebauten Umwelt – Funktionale Anforderungen
    DIN Media GmbH, Berlin https://www.dinmedia.de/de
  5. E DIN 18040-1:2023-02
    Barrierefreies Bauen – Planungsgrundlagen –
    Teil 1: Öffentlich zugängliche Gebäude
    DIN Media GmbH, Berlin https://www.dinmedia.de/de
  6. E DIN 18040-2:2023-02
    Barrierefreies Bauen – Planungsgrundlagen –
    Teil 2: Wohnungen
    DIN Media GmbH, Berlin https://www.dinmedia.de/de
  7. E DIN 18040-3:2023-01
    Barrierefreies Bauen – Planungsgrundlagen –
    Teil 3: Wohnungen
    DIN Media GmbH, Berlin https://www.dinmedia.de/de
Portraitbild Knut Junge

Knut Junge

ift Rosenheim

Dipl.-Ing. (FH) Knut Junge ist seit 2002 am ift Rosenheim tätig. Er ist Mitarbeiter des ift-Sachverständigenzentrums sowie Mitglied in Normenausschüssen und Gremien für das barrierefreie Bauen.

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