Veranschaulicht, welchen Ug-Wert das 2-fach- und 3-fach-Isolierglas jeweils bei 0; 30; 60 und 90 Grad besitzt.

Geneigt ist anders

U-Werte geneigter Verglasungen

Lesezeit: 9 Minuten

Das Thema der Ug-Werte von geneigten Verglasungen wird in der Branche immer wieder diskutiert. Wirklich neu ist dieses Thema nicht, ist jedoch oftmals selbst in Fachkreisen nicht bekannt.

Der Grund für Diskussionen sind oft aktuelle Rechtsstreitigkeiten und Gutachten, welche die bisherige Praxis in der Branche, die U-Werte prinzipiell nur für den senkrechten Fall anzugeben, in Frage stellen. Dieser Beitrag fasst die wesentlichen Regelungen der Normen für die Angabe des U-Wertes von Glas, Fenster und Fassade zusammen und gibt Empfehlungen für die Angabe des U-Wertes bei geneigten Verglasungen.

Bauphysikalische Grundlagen

Tatsache ist: Bei geneigten Verglasungen, wie z. B. bei Dachflächenfenstern, erhöht sich der Ug-Wert des Mehrscheiben-Isolierglases aus physikalischen Gründen. Die Veränderung ist derart groß, dass sie für bauphysikalische Betrachtungen und Berechnungen zum Wärmeschutz von Gebäuden nicht immer vernachlässigt werden kann. Die größten Effekte treten beim 2-fach-Isolierglas auf. Die Diagramme in Bild 1 zeigen die Veränderung des Ug-Wertes nach DIN EN 673 in Abhängigkeit vom Neigungswinkel für ein 2-fach-Isolierglas (links) mit einem Ug-Wert von 1,1 W/(m² K) und für ein Standard-3-fach-Isolierglas mit einem Ug-Wert von 0,7 W/(m² K).

Veranschaulicht, welchen Ug-Wert das 2-fach- und 3-fach-Isolierglas jeweils bei 0; 30; 60 und 90 Grad besitzt.
Bild 1: Ug-Wert für 2-fach- (links) und 3-fach-Isolierglas in Abhängigkeit von der Neigung;
Glasaufbau: 4/16/4 und 4/12/4/12/4 mit 90 % Ar und Emissionsgrad 0,03 mit Beschichtung auf Position 3 bzw. Position 2 und 5
Ansicht einer Konvektion, welche waagerecht eingebaut wird.
Bild 2: Konvektion, waagerechter Einbau
Ansicht einer Konvektion, welche senkrecht eingebaut wird.
Bild 3: Konvektion, senkrechter Einbau

Ursache für die Zunahme des Ug-Wertes ist die auftretende Konvektion des Füllgases im Scheibenzwischenraum, die sich mit der Neigung des Glases verändert und zu einem erhöhten Wärmetransport über den Scheibenzwischenraum führt. Bei freier Konvektion – wie dies im Scheibenzwischenraum (SZR) der Fall ist – wird die Wärmeübertragung durch die sogenannte Nusselt-Zahl Nu beschrieben:

Legende

Nu           Nusselt-Zahl

Gr           Grashof-Zahl

Pr            Prandtl-Zahl

A, n         Koeffizienten nach EN 673

Für den senkrechten Einbaufall sind die Parameter mit A = 0,035 und n = 0,38 als Referenzparameter in DIN EN 673 festgelegt. Im Regelfall wählt der Hersteller für die Isolierverglasung einen Scheibenzwischenraum bei dem keine Konvektion (Nu≤1) auftritt. Dies ist der Grund warum 2-fach-Isolierverglasungen einen typischerweise einen SZR von 16 mm haben.

Der Wärmetransport über das Gas im Scheibenzwischenraum erfolgt nicht nur durch Kon­vektion, sondern auch durch die Wärmeleitung über das Füllgas. Der Wärmetransport wird durch Gleichung (2) beschrieben:

Legende

hg            Wärmedurchlasskoeffizient des Gases in W/(m2 K)

Nu           Nusselt-Zahl

λ              Wärmeleitfähigkeit des Füllgases in W/(m K)

s              Scheibenzwischenraum

hg beschreibt den Wärmeverlust durch Konvektion und Wärmeleitung über Gas im Scheibenzwischenraum.

Zusätzlich ist noch der Transport von Wärme über Strahlung zu beachten, der sich bei geneigten Verglasungen unter den vorgegebenen Randbedingungen gemäß EN 673 nicht verändert. Gleiches gilt für die Wärmeleitung über das Floatglas.

Aus Gleichung 2 ist sofort ersichtlich, dass im Fall Nu = 1 der Wärmetransport ausschließlich über die Wärmeleitung des Füllgases erfolgt. Erst wenn die Nusselt-Zahl größer 1 ist, wird Wärme zusätzlich über Konvektion transportiert. Ergibt die Berechnung eine Nusselt-Zahl kleiner 1, so ist diese in der weiteren Berechnung 1 zu setzen.

Wird die Verglasung geneigt, verändern sich die Koeffizienten A und n in Gleichung 1, und die Nusselt Zahl wird größer. Konkret bedeutet dies, dass bei gleichem Zwischenraum die Nusselt-Zahl bei geneigten Verglasungen größer wird und damit auch der Wärmedurchlasskoeffizient h. Als Folge nimmt der Ug-Wert der Verglasung zu. Bei einem Zweischeiben-Isolierglas beträgt die Ug-Wert-Differenz zwischen senkrechter und waagerechter Einbaulage etwa 0,6 W/(m² K). Bei 3-fach-Verglasungen fällt die Differenz mit ca. 0,3 W/(m² K) geringer aus. Soviel zur physikalische Theorie.

Wie ist nun vom Glashersteller die Deklaration der Leistungseigenschaft U-Wert in der Praxis vorzunehmen?

Die Produktnorm EN 1279-5 für Mehrscheiben-Isolierglas verweist auf das Rechenverfahren nach EN 673 zur Berechnung des Ug-Wertes. In allen Fällen, in denen der Ug-Wert zu Werbezwecken angegeben wird, sind die in Abschnitt 8 der DIN EN 673 angegebenen Referenzwerte für den senkrechten Einbaufall zu verwenden. Gleiches gilt beim Isolierglas für die CE-Kennzeichnung und die Leistungserklärung nach Bauproduktenverordnung.

Die Deklaration des Ug-Wertes erfolgt daher für den senkrechten Fall.

Das Messverfahren für den Ug-Wert von Isolierglas mit dem Plattenmessgerät nach DIN EN 674 schreibt ebenfalls für die Messung zwingend die senkrechte Einbaulage vor.

Für bauphysikalische Berechnungen zum Wärmeschutz von Gebäuden sind die mit den Referenzwerten nach EN 673 ermittelten Ug-Werte bei geneigten Verglasungen meist zu optimistisch. In diesen Fällen kann die Berechnung unter Angabe des Neigungswinkels der Verglasung und der genauen Randbedingungen bestimmt werden. Für die Berechnung ist zu beachten, dass sich der innere Wärmeübergangskoeffizient bei geneigtem Einbau verändert. Die zu verwendenden Übergangskoeffizienten finden sich ebenfalls in der Norm. Der Einfluss auf den Ug-Wert ist jedoch gering und macht sich meist nur in der zweiten Nachkommastelle bemerkbar.

Welche Empfehlung kann daraus abgeleitet werden?

Grundsätzlich sollten Glashersteller ihre Kunden darauf hinweisen, dass der deklarierte Ug-Wert für den senkrechten Fall bemessen wurde und sich in geneigter Einbaulage erhöht. Unterlässt der Hersteller dies, läuft er Gefahr, dass der deklarierte Ug-Wert als Beschaffenheitsangabe und die Abweichung von diesem Wert als Mangel seines Produktes bewertet wird.

Die Angabe des Ug-Wertes im CE-Zeichen und der Leistungserklärung erfolgt ausschließlich für die senkrechte Einbaulage.

Fenster, Dachflächenfenster und Fassaden

Wie ist der Wärmedurchgangskoeffizient bei Fenstern, Dachflächenfenstern und Fassaden anzugeben?

Der Wärmedurchgangskoeffizient UW von Fenstern ist nach EN ISO 10077 Tabelle F.1 oder durch Berechnung nach EN ISO 10077 -1 und ggf. nach EN ISO 10077-2 zu bestimmen. Bei geneigten Konstruktionen ist nur der Fall des Dachflächenfensters relevant.

Als Referenzverfahren für die Messung des UW-Wertes ist das Heizkastenverfahren nach EN ISO 12567-1 für Fenster und Türen und EN ISO 12567-2 für Dachflächenfenster anzuwenden. Das Referenzverfahren für die Ermittlung des UW-Wertes schreibt die senkrechte Einbaulage bei Fenstern und auch bei Dachflächenfenstern vor.

Der UW-Wert zu Werbezwecken, im CE-Zeichen und der Leistungserklärung muss daher für die senkrechte Einbaulage erfolgen.

Wird objektbezogen der U-Wert für die tatsächliche Einbaulage gefordert, kann der UW-Wert für die geneigte Einbaulage nach EN ISO 10077-1 ermittelt werden. Hierzu ist der ermittelte U-Wert für die Profile Uf und der Y-Wert für den senkrechten Fall zu verwenden und der Ug-Wert (in der Gleichung mit Ug (a) bezeichnet) für den Winkel der Fensterneigung. Wie diese Berechnung erfolgt, zeigt das folgende Beispiel:

Legende

UW          Wärmedurchgangskoeffizient Fenster in W/(m2 K)

Ug           Wärmedurchgangskoeffizient Glas in W/(m2 K)

α             Neigungswinkel in °

Ag           lichte Glasfläche in m2

Uf                  Wärmedurchgangskoeffizient Rahmen in W/(m2 K)

Af            Rahmenfläche in m2

lg             sichtbare Umfangslänge der Verglasung in m

Yg           längenbezogener Wärmedurchgangskoeffizient in W/(m K)

AW          Fensterfläche in m2

Rechenbeispiel

Fensterabmessung AW :      1,23 m x 1,48 m

lichte Glasfläche Ag:            1,27 m²

Rahmenfläche Af:               0,55 m²

sichtbare Umfangslänge
der Verglasung lg:                4,54 m

Uf = 1,5 W/(m² K) – unabhängig von der Einbaulage, 90°

Y = 0,08 W/(m K) – unabhängig von der Einbaulage, 90°

Ug (a=90°) = 1,1 W/(m² K) – senkrechter Fall 90°

Ug (a=30°) = 1,5 W/(m² K) – Einbaulage 30°

Für die Berechnung wurde ein Standard-Isolierglas mit 16 mm Scheibenzwischenraum und 90 % Argon-Gasfüllung mit einem Emissionsgrad von 0,03 verwendet.

Im senkrechten Fall ergibt sich ein UW-Wert von 1,4 W/(m² K) für das Dachflächenfenster. Für die Einbaulage 30° ist der UW-Wert 1,7 W/(m² K). Alternativ besteht auch die Möglichkeit mit dem Ug-Wert der Verglasung für den geneigten Fall über Tabelle F.1 der EN ISO 10077-1:2010 den UW-Wert zu ermitteln.

Fassaden sind bis zu einem Winkel von ±15° in der Produktnorm EN 13830 geregelt. In diesen Fällen ist die Auswirkung auf den Ug-Wert noch gering. Fassaden mit größeren Neigungswinkeln sind nicht über die Produktnorm Fassaden geregelt. Sie benötigen national eine Zustimmung im Einzelfall oder eine allgemein bauaufsichtliche Zulassung. Die Regelungen zur Berechnung des Wärmedurchgangs sind in EN 13947 festgelegt. Hierzu legt die Norm fest, dass die zu Vergleichszwecken deklarierten Werte für den senkrechten Einbaufall ermittelt werden.

Daraus folgt – wie beim Fenster – dass der im CE-Zeichen angegebene UCW-Wert für den senkrechten Einbaufall anzugeben ist.

Werden objektbezogene UCW-Werte für geneigte Fassaden benötigt, so fordert die Norm: UCW-Werte für die geneigte Fassade sind derart zu ermitteln, dass die Wärmedurchgangskoeffizienten Um, Ul, Uf  (U-Werte für Pfosten, Rahmen, Riegel) und der Y-Wert unabhängig von der konkreten Einbausituation für den senkrechten Fall bemessen werden. Für den Ug-Wert des Mehrscheiben-Isolierglases wird die tatsächliche Einbaulage berücksichtigt.

Bei Fassaden wird nur der Einfluss auf den Ug-Wert der Verglasung berücksichtigt.

Auch in diesen Fällen ist den Fenster und Fassadenherstellern zu empfehlen, ihre Kunden ggf. darauf hinzuweisen, dass sich im geneigten Fall der U-Wert verändern kann. An der bisherigen Praxis für die Angabe im CE-Zeichen ändert sich hierdurch jedoch absolut nichts!

Kennt die EnEV geneigte Verglasungen?

Für die Bestimmung der wärmetechnischen Eigenschaften nach der Energieeinsparverordnung (EnEV) 2013 ist die Verwendung sogenannter „nationaler Bemessungswerte“ gefordert. Diese sind in DIN 4108-4 festgelegt. Aus der Festlegung

UW,BW =    UW

Ug,BW =     Ug

UCW,BWUCW

folgt derzeit, dass im Rahmen der EnEV die U-Werte nach den Produktnormen für den senkrechten Einbaufall heranzuziehen sind.

Die EnEV fordert U-Werte für den senkrechten Einbaufall nach den jeweiligen Produktnormen

Dies ist eine Regelung, die angesichts immer höherer Anforderungen an den Wärmeschutz von Gebäuden unverständlich erscheint. Mit Berechnungen, die auch kleinste Effekte berücksichtigen, erscheint die bisherige Praxis großzügig, auch wenn der Einfluss einiger Dachflächenfenster im Gebäude auf den Heizenergiebedarf sicherlich als gering einzustufen ist. Ein vereinfachtes Verfahren mit Korrekturfaktoren für den U-Wert in Abhängigkeit von der Neigung, die national in DIN V 4108-4 festgelegt werden könnten, wäre handhabbar und würde damit aufwendige Berechnungen überflüssig machen.

Michael Rossa

ift Rosenheim

Dipl.-Phys. Michael Rossa ist seit 2000 Mitarbeiter im ift Rosenheim und war in verschiedenen Funktionen im Institut tätig. Seit 2012 ist er als Stv. Leiter Inhouse für den Bereich Inhouse Schulungen der ift Akademie verantwortlich und leitet seit 2019 die ift Akademie.

Weiterhin ist er Lehrbeauftragter an der Technischen Hochschule Rosenheim für Physik und für das ift als Referent mit den Themenschwerpunkten Glas, Bauphysik und Energieeffizienz tätig.

Lösungen aus diesem Themenbereich

Artikel aus diesem Themenbereich