Das Symbolbild zeigt die EU- und Großbritannien-Flaggen mit einem Riss dazwischen.  (Bild: © bluedesign, AdobeStock)

Brexit – Konsequenzen aus dem Abkommen

Status und Praxistipps für Hersteller von Bauelementen im Umgang mit Nachweisen und Kennzeichnungen

Lesezeit: 13 Minuten

In letzter Minute haben Brüssel und London ein 1.200 Seiten umfassendes Handels- und Kooperationsabkommen [6] unter den Weihnachtsbaum gelegt. Damit kommen neue Formalitäten und Dokumente auf die Hersteller, Händler und Montagebetriebe in unserer Branche zu.

Unternehmen mit Geschäftsbeziehung zu UK müssen sich nun mit vielen Detailfragen beschäftigen. Einige Fragen wollen wir auf Basis einer ersten Analyse des Abkommens und offizieller Quellen beantworten. Die laufende praktische Auslegung des Vertrages wird uns sicher noch die nächsten Monate beschäftigen, und wir werden weiter informieren. Die frohe Botschaft aber vorweg: Durch die enge Zusammenarbeit mit unserem Partner UL können die ift-Kunden sicher sein, dass kompatible ift-Prüfnachweise auch in Großbritannien anerkannt werden und UL-Nachweise aus UK für eine CE-Kennzeichnung genutzt werden können.

Durch das Abkommen können für die meisten Produkte im Warenverkehr Zölle vermieden werden, aber es sind zusätzliche Formalitäten d.h. Begleitpapiere, erforderlich. Mit diesen gibt es aktuell offensichtlich noch erhebliche Probleme, so haben große Logistikdienstleister wie DPD (UK) und DB Schenker die Annahme von Sendungen (vorübergehend) eingestellt, da zu viele Sendungen mit unvollständigen Begleitpapieren ganze Frachten blockieren.

Über die Prozeduren informiert tagesaktuell die britische Regierung auf ihrer Website gov.uk. Unter-schieden wird, ob Waren nach [1] oder aus UK [2] kommen. Für den Warenverkehr zwischen der EU und Nordirland gelten jedoch besondere Regeln. Für Bauprodukte sind keine besonderen Regelungen bzw. Anforderungen zu beachten, wie beispiels-weise für bestimmte Chemikalien, Medikamente oder Nahrungsmittel.

Das Symbolbild zeigt die EU- und Großbritannien-Flaggen mit einem Riss dazwischen.  (Bild: © bluedesign, AdobeStock)
Bild 1: Der Brexit wird spürbar, und Unternehmen müssen sich umstellen. (Bild: © bluedesign, AdobeStock)
Das Bild zeigt die neuen Kennzeichen für Bauprodukte in Großbritannien UKCA und UKNI (GB) und Nordirland (NI) (Quelle: gov.uk)
Bild 2: Die neuen Kennzeichen für Bauprodukte in Großbritannien (GB) und Nordirland (NI) (Quelle: gov.uk)

UK hat die bekannte EU-Bauproduktenverordnung mit Änderungen für UK übernommen. Damit gilt für Bauprodukte nach den „UK designated Standards“ (diese entsprechen aktuell den EU-harmonisierten Produktnormen, wie sie z.B. auf der Website des DIBt gelistet sind) auch in UK eine Kennzeichnungspflicht. Für Produkte nach nicht harmonisierten Normen wie z.B. Innentüren ändert sich nichts gegenüber dem Stand von 2020.

Folgende Regelungen gelten für Bauprodukte nach EU/UK harmonisierten Normen:

  1. Waren, die sich vor dem 1. Januar 2021 in GB im freien Verkehr befanden, bleiben von den neuen Regelungen unberührt. Das heißt, ihre CE-Kennzeichnung wird in GB weiterhin akzeptiert.
  2. Für die meisten CE-kennzeichnungspflichtigen Bauprodukte gilt eine Übergangsfrist bis zum 31. Dezember 2021. Bis zu diesem Zeitpunkt akzeptiert UK noch die CE-Kennzeichnung. Ab dem 1. Januar 2022 müssen Produkte die neue Markierung UKCA tragen.
  3. In Nordirland können Bauprodukte aus Europa unverändert mit dem CE-Kennzeichen gekennzeichnet und gehandelt werden.

Das UKCA-Zeichen (UK Conformity Assessed) wird ab 1.1.2022 für alle Bauprodukte verpflichtend, die unter die UK designated Standards fallen. Die Vorgaben für das UKCA-Zeichen entsprechen den für das CE-Zeichen bekannten EU-Konformitätsverfahren (Verpflichtung bzw. Angabe des Herstellers, ggf. Einbeziehung von Drittstellen). Als Grundlage für das UKCA-Zeichen sind jedoch ausschließlich Prüfberichte bzw. Konformitätszertifikate von UK notified bodies zulässig. Das UKCA-Zeichen darf in 2021 noch parallel zu bereits vorhandenen CE-Zeichen angebracht werden.

Umgekehrt erkennt jedoch die EU das UKCA-Zeichen nicht an, und für Bauprodukte aus UK sind bereits seit 1.1.2021 ausschließlich Prüfnachweise bzw. Konformitätszertifikate von EU notified bodies (die nicht in UK ansässig sein können!) erforderlich – wie für alle Bauprodukte aus Nicht-EU-Ländern auch.

Richtige Zollerklärung und Herkunftsbezeichnung

UK hat bei der Anpassung der EU-Bauproduktenverordnung die im Artikel 10 geregelte Produktinformationsstelle gestrichen, d.h. für UK ist keine Stelle benannt, die anfragenden Firmen aus dem Ausland die baurechtlich in UK an das jeweilige Produkt gestellten Anforderungen nennen soll. Grundlage für die gegenüber anderen Drittstaaten (d.h. nicht-EU oder EFTA-Staaten) bevorzugte Zollregelung ist eine Herkunftserklärung. Diese erklärt die „wirtschaftliche Herkunft“, d.h. wo die gesamte oder überwiegende Wertschöpfung des Produkts stattgefunden hat. So kann z.B. eine aus spanischen Orangen in England produzierte Marmelade als „englisches Produkt“ gelten, weil der überwiegende Teil der Wertschöpfung in UK stattfand.

Es kann aber auch eine mit europäischen, asiatischen und US-amerikanischen Komponenten in UK montierte Automatiktür als „englisches Produkt“ gelten, wenn denn der überwiegende Teil der Wertschöpfung in UK stattfand. Ein bloßes Umpacken, Ablängen oder Portionieren reicht nicht, um den überwiegenden Teil der Wertschöpfung zu erreichen. Damit soll z.B. eine begünstigte Einfuhr von in China gefertigten Textilien über englische Versandhäuser bzw. Shoppingportale vermieden werden.

Bis zum 30. Juni 2021 gibt es für den Handel eine sechsmonatige Frist zur Vorlage der Herkunfts- und Zollbescheinigungen sowie der erforderlichen Angaben. Es muss also die Herkunftserklärung nicht unmittelbar beim Import aus der EU vorgelegt werden, um die Zollfreiheit in UK zu beanspruchen. Für Händler gilt bis 31.12.2021 eine Übergangsfrist für die Vorlage solcher Herkunftserklärungen von Lieferanten. Dies bedeutet aber nur einen Fristaufschub, keinen Verzicht! Je nach Wert der Waren kann es sinnvoll sein, sich den Aufwand für die Nachweise zu sparen und stattdessen die Zollgebühren wie für ein Drittstaatprodukt zu zahlen. [5]

Montagearbeiten und Dienstleistungen in UK

Firmen mit Sitz in der EU, die angestellte Mitarbeiter nach UK entsenden, um dort z.B. Montage- oder Reparaturleistungen durchzuführen, müssen ggf. die Firmenfahrzeuge mit der sogenannten „grünen Versicherungskarte“ ausstatten. Eine Visumpflicht entsteht erst, wenn die Entsendung länger als 6 Monate dauern soll.

Während der derzeitigen COVID-19-Pandemie ist (innerhalb von 48 Stunden) vor der Einreise nach UK die „Online passenger locator form“ [3] auszufüllen und dann als Bestätigung ausgedruckt mitzuführen, ebenso ein negativer COVID-19-Test, der nicht älter als 72 Stunden sein darf und der nur in englischer, französischer oder spanischer Sprache akzeptiert wird. Verstöße gegen diese beiden Regelungen gelten als Straftat („criminal offence“). UK-Hotelübernachtungen sind für nicht touristische Reisen derzeit erlaubt. Für die Rückreise auf das europäische Festland gelten angesichts der Einstufung von England als Hochrisikogebiet besondere, rasch wechselnde Regelungen; so verlangt Frankreich die COVID-19-Testnachweise in französischer Sprache! Aber auch England hat einen harten Lockdown verfügt, über dessen Detailregelungen man sich aktuell informieren sollte. [4]

Die Ein- und Ausfuhr benötigter Werkzeuge für solche Montagen ist zollfrei möglich, es ist jedoch ein „ATA-Carnet“ in englischer Sprache zu beantragen. Sofern die Einreise über Dover oder den Eurotunnel erfolgt, sind die Zollformalitäten auf englischer Seite bei einer der (UK-)inländischen Zollstellen abzuwickeln, die zur Entlastung der Hafenstadt eingerichtet wurden.

Bei der Benutzung von LKW über 7,5 t und einer Ausreise aus UK über den Hafen von Dover oder den Eurotunnel wird ein „Kent Access Permit (KAP)“ benötigt. Dadurch soll sichergestellt werden, dass alle benötigten Papiere zur Ausreise vorhanden sind und das Fahrzeug nicht in der Grafschaft von Kent zu Staus beiträgt. Das KAP wird auch für ausreisende, unbeladene LKW benötigt. Es gilt nur für 24 Stunden, bei fehlendem KAP werden 300 £ fällig und der LKW wird zurückgewiesen! Der Fahrer und die Passagiere benötigen einen COVID-19-Test, der nicht älter als 72 Stunden (bei der Ankunft in Frankreich) ist. Für die Fahrer werden solche Test von England kostenfrei angeboten, denn für Pflichtversicherte aus EU-Ländern ist in UK die medizinische Notfallversorgung unter Vorlage der Versichertenkarte kostenfrei. Angesichts der bekannten Probleme und der Wartezeiten des staatlichen englischen Gesundheitssystems („NHS“) ist jedoch eine zusätzliche Auslandskrankenversicherung im Krankheitsfall empfehlenswert.

Fazit

Durch die Tolerierung der CE-Kennzeichnung als Konformitätsnachweis von Bauprodukten in Großbritannien wird die Schonfrist für EU-Exporte bis zum 31.12.2021 quasi verlängert. Dennoch gibt es eine Reihe von praktischen Hemmnissen, die beachtet werden sollten – nicht zuletzt für Reisen und Dienstleistungen europäischer Firmen in UK. Das ift Rosenheim hat mit seinem langjährigen Kooperationspartner UL aber bereits bilaterale Vereinbarungen getroffen, durch die eine gegenseitige Anerkennung von Prüfzeugnissen, Zertifizierungen und Überwachungsnachweisen ermöglicht wird. Sofern die normativen Voraussetzungen gegeben sind, erhalten damit englische Hersteller die notwendigen Nachweise für eine CE-Kennzeichnung und europäische Produzenten die Dokumente für das UKCA- bzw. UKNI-Kennzeichen.

Prof. Jörn P. Lass

ift Rosenheim

Prof. Jörn P. Lass ist der Institutsleiter des ift Rosenheim und seit über 39 Jahren in der Fenster- und Fassadenbranche tätig. Als gelernter Glaser und Fensterbauer absolvierte er ein Studium der Holztechnik und war in leitenden Funktionen bei einem Systemgeber, Fenster- und Fassadenherstellern sowie 14 Jahre im ift Rosenheim in den Bereichen Forschung, Prüfung, Güteüberwachung, Normung und Zertifizierung tätig. Die letzten sechs Jahre leitete er als Professor an der Technischen Hochschule Rosenheim die Studienrichtung „Gebäudehülle“ und ist seit Januar 2020 als Institutsleiter wieder im ift Rosenheim.

Andreas Woest

ift Rosenheim

Dipl.-Ing. (FH) | MBA (Brunel Univ.) Andreas Woest ist seit 2010 Mitarbeiter am ift Rosenheim. Er ist Leiter des Normungszentrums. Als Holzbauingenieur gibt er seine detaillierte Kenntnis zu den Regularien der Bauproduktenverordnung im Rahmen von Seminaren, Vorträgen und Inhouse-Schulungen weiter.

Lösungen aus diesem Themenbereich

Artikel aus diesem Themenbereich