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Structural Glazing (SG) oder auch Structural Sealant Glazing (SSG) bezeichnet Klebungen, die die auftretenden Lasten aus Wind, Klima und Eigengewicht auf eine Unterkonstruktion übertragen können. Sie ermöglichen glatte Außenhüllen aus Glas ohne sichtbare mechanische Halterungen.

In der Architekturlandschaft sind in den letzten Jahrzehnten zahlreiche repräsentative Gebäude mit SG-Verglasungen entstanden.
Gründe hierfür sind das Design, Kosten- und Qualitätsaspekte des hohen Vorfertigungsgrad und der konstruktive Vorteil die auftretenden Kräfte über eine große Fläche mit niedrigen Spannungsspitzen von einem Haftpartner zum anderen übertragen zu können. Gleichzeitig kann die Klebung die Funktion der Dichtigkeit gegenüber Luft, Wind und Wasser übernehmen.


Im Automobilbereich werden die Frontscheiben deshalb auch geklebt und haben neben der Abdichtung eine aussteifende Wirkung für die Karosserie. Im Unterschied zum Auto soll jedoch eine Fassade 20-30 Jahre genutzt werden und Gläser sind bei Schäden schwieriger auszutauschen wie eine Autoscheibe. Eine Prüfung und Analyse von real gealterten Fassaden ist praktisch nicht möglich, denn wer kann schon 10 oder 20 Jahre auf Ergebnisse warten. Im Neuzustand lässt sich die Leistungsfähigkeit der Klebung leicht über Zug- und Scherversuche belegen. Doch wie sieht es mit der Beständigkeit gegen Witterungs- und Umwelteinflüsse aus? Hier galt es geeignete Prüfverfahren für eine künstliche Alterung zu entwickeln, die die Realalterung simuliert. Diese Versuchsverfahren wurden vom ift Rosenheim in Zusammenarbeit mit Fassadenbauern und Klebstoffherstellern entwickelt. Das formale Ergebnis ist die bekannte und europaweit anerkannte Richtlinie ETAG 002 als Basis für zugelassene Fassadensysteme und Silikonklebstoffe für die „Haftpartner“ Edelstahl, anodisch oxidiertes Aluminium, pulverbeschichtetes Aluminium und Glas mit und ohne anorganischer Beschichtung. Diese europäische Richtlinie wurde 1998 in Deutschland eingeführt und im Bundesanzeiger veröffentlicht. Seitdem sind für SG-Klebungen einheitlich gültige Nachweis- und Prüfverfahren vorhanden. Als Basis für Zulassungen von SG-Fassadensystemen sowie für Einzelbauvorhaben als Zustimmung im Einzelfall, können Bauherren tragend geklebte Fassaden nach der Leitlinie ETAG 002 und den Vorgaben der deutschen Bauregelliste nachweisen und den genehmigenden Behörden zur Zulassung vorlegen.
Nun steht bei neuen technischen Regeln immer die Frage im Raum, welches tatsächliche Alterungsverhalten bildet das Regelwerk mit den simulierten Kurzzeitverfahren ab? Dies lässt sich am besten feststellen, wenn man Basisdaten besitzt, die im Neuzustand ermittelt wurden und sowohl nach künstlicher Alterung als auch nach realer Alterung verglichen werden können. Deshalb wurde bei der Entwicklung der Kurzzeitprüfungen gleichzeitig im Rahmen eines Forschungsprojektes ein Erker des Institutsgebäudes als SG-Fassade mit der damals neuartigen Verbindungstechnik ausgestattet. Die Fassadenteile wurden im Neuzustand geprüft und mit über 100 Messstellen versehen, um wichtige Parameter wie die Klimabedingungen und die Luftfeuchte und Temperaturen in der Fassade zu erfassen, die bei der äußeren Glasebene von -23,7 °C bis 59°C reichten. Diese SG-Fassade musste nach 23 Jahren treuem Dienst im Rahmen einer energetischen Sanierung des Institutsgebäudes einer neuen Fassade weichen. Damit bestand die einzigartige Möglichkeit diese real gealterte Fassade zu untersuchen und mit den Ergebnissen der Kurzzeitprüfungen zu vergleichen, die auf Basis zahlreicher Prüfergebnissen als valide und gesichert gelten. Zwei Fragen standen dabei im Mittelpunkt:
Welche Festigkeiten hat die Klebung noch im Vergleich zum damals festgestellten Neuzustand und im Vergleich zu den künstlich gealterten Werten?
Erfüllt die Klebung nach 23 Jahren Exponation im oberbayerischen Klima noch die Kriterien der ETAG 002?


Mit dieser Frage beschäftigte sich ein Forschungsprojekt des ift Rosenheim, das durch eine Bachelorarbeit unterstützt wurde. Das Ergebnis zeigt deutlich, dass die Klebung mit den Substraten anodisch oxidiertes Aluminium und Glas die Kriterien der ETAG 002 heute noch erfüllen würde. Hierdurch ist der Nachweis erbracht, dass für die Klimabedingungen Rosenheims und vergleichbarer Regionen die Prüfkriterien hinreichend sind und auf der sicheren Seite liegen. In dieser Arbeit wurden auch die Klimadaten wie Sonneneinstrahlung, Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Niederschlag über die gesamte Lebensdauer sowie die Temperaturen in der Fassade entlang der „Haftkette“ der Klebung vom Glas über den Klebstoff in die Oberfläche des Tragrahmens berücksichtigt. Des Weiteren wurden die Daten aus einer großen Anzahl von Versuchen auf Basis der ETAG 002 wissenschaftlich ausgewertet und mit den Ergebnissen dieser Einzelfassade verglichen.
Das Ergebnis ist ein Spannungsdehnungsverlauf, der auf einer fundierten statischen Datengrundlage beruht und für Simulationsprogramme, als Bemessungsgrundlage und für gutachterliche Stellungnahmen herangezogen werden kann. Auch für die Bewertung und Prüfung von neuen SG-Fassadensystemen steht das ift Rosenheim als wissenschaftlicher Partner mit seiner langjährigen Erfahrung zur Verfügung.
Diese Untersuchung zeigt, dass die künstliche Alterung der Silikonklebstoffe und der Klebung den Anforderungen des mitteleuropäischen Klimas über eine angemessene Nutzungsdauer gerecht werden kann. Die Untersuchungen können so dazu beitragen, das deutsche und europäische Sicherheitskonzept auf den Prüfstand zu stellen und auf die mechanischen Halterungen gegen Absturz der Glaselemente bei Versagen der Klebung zu verzichten. Diese sind derzeit in Deutschland für SG-Fassadenelemente, deren Oberkante mehr als 8 m über Grund liegen als redundantes Sicherheitskonzept vorgeschrieben. Das ift Rosenheim ist an einer wissenschaftliche Analyse weiterer SG-Fassaden interessiert, um die Datenbasis für vergleichbarer Realalterungen weiter auszubauen und so die Auflagen eines Sicherheitskonzept auf ein notwendiges Minimum zu reduzieren.

Auch wenn jetzt die Dauerhaftigkeit der SG-Klebung beispielhaft belegt werden kann, bleibt es wichtig, die Herstellung der Klebung und die Verwendung der Fügepartner sorgfältig zu betreiben. Dem tragen die Baubehörden mit den vorgeschriebenen Fremdüberwachungen der Hersteller der Halbzeuge und der SG-Klebungen Rechnung. Die sorgfältige Herstellung der Klebung und die Verwendung nachgewiesener Substrate, ist der Schlüssel zur Beständigkeit. Deshalb steht und fällt eine sichere und beständige SG-Klebung mit einer konsequenten Werkseigenen Produktionskontrolle (WPK) und einer neutralen Fremdüberwachung. Für die Hersteller als „klebende Stellen“ ist die Nachvollziehbarkeit der Herstellungskette vom Rohmateriallieferanten über Halbzeuglieferanten bis hin zur Herstellung der SG-Klebung ein Schutz vor ungerechtfertigten Ansprüchen und es hilft die Qualität sicher zu stellen.
Aufbauend auf diesen Erkenntnissen und den Erfahrungen aus der Qualitätssicherung wurden die Monitoringverfahren des ift Rosenheim weiter entwickelt. Diese können dazu beitragen innovative Konstruktionswege zu beschreiten und neuartige Materialien im SG-Bereich einsetzen zu können. Auf Grund der fehlenden Praxiserfahrungen bei neuen Systemen kann eine solche SG-Fassade natürlich nicht 30 Jahre ohne Kontrolle sich selbst überlassen werden. Als Alternative kann ein Monitoring der SG-Klebung die Sicherheit nachweisen. Das Monitoringkonzept des ift Rosenheim wurde bereits für Zustimmungen im Einzelfall von der obersten Baubehörde akzeptiert und vom Fassadenbauer umgesetzt. Hierzu zählen das neue Verwaltungsgebäude von Züblin in Stuttgart, sowie die Zeppelinuniversität in Friedrichshafen.Damit lassen sich innovative SG-Fassaden auch bei „normalen“ Gebäuden realisieren und bleiben nicht mehr nur Prestigebauten und „Stararchitekten“ vorbehalten.